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Der Herr der Finsternis

Der Herr der Finsternis

Titel: Der Herr der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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lachend. »Und zweitens … weil ihr braun werden könnt.«
    Das Boot, zu dem man uns gebracht hatte, war ziemlich groß, mehr eine Jacht. Eine Mannschaft gab es nicht, was Garet und Reata jedoch nicht störte. Sie hissten die Segel, spannten hier Leinen, lockerten da welche – mit einem Wort, sie beschäftigten sich mit diesem ganzen nautischen Kram, von dem eine Landratte keine Ahnung hat. Len und ich durften kurzerhand unsere Muskelkraft zur Verfügung stellen, o h ne dass die beiden Frauen sich groß um den amoralischen Aspekt der Kinderarbeit geschert hätten. Übr i gens sind wir, solange wir Flügel tragen, stärker als die meisten E r wachsenen. Die Flügel trinken zwar unsere Kraft, geben uns aber auch welche zurück.
    Nach fünf Minuten blähte sich das Segel im Wind und die Jacht glitt in die Finsternis. Aus reiner Gewohnheit klappte ich das transparente Visier runter und schaute mich um. In der Ferne machte ich ein and e res weißes Segel aus. Offenbar fuhr gerade eines der Schiffe der Händler in den Hafen ein. Die Stadt blendete mich mit den Lichtern der Laternen in den Augen. Ich schaute nach vorn. Nichts als Finste r nis. Finsternis bis zum Horizont … Wo Garet ihr Sonnenbad wohl nehmen wollte? Sie hatte uns versichert, die Reise dauere nicht länger als einen Tag und wir könnten – falls wir das wollten – schon heute Abend wieder in der Stadt sein.
    In dem Moment kam der Sonnenkater angerannt. Ich bemerkte seine ausgefahrenen Krallen. Mit aller Kraft hakte er sich an den Holzpla n ken fest. Ob er Angst hatte? Als er meinen Blick auffing, erhob er sich in die Luft. »Ich mag das Wasser einfach nicht«, erklärte er. »Das ist eine fremde Materie … Du weißt nicht zufällig, wohin wir fahren?«
    »Ich habe angenommen, du wüsstest es«, sagte ich.
    »Wie oft soll ich das eigentlich noch wiederholen?«, maulte der K a ter beleidigt. »Ich bin noch klein … «
    Von dem in der Luft schwebenden Kater begleitet, wanderte ich zum Bug der Jacht. Das Wasser plätscherte einen halben Meter unter uns gegen das Schiff, der Wind peitschte mir ins Gesicht. Ich hielt nach Garet Ausschau. Sie stand neben dem Mast, ohne sich irgendwo fes t zuhalten, und sah zu ihrer Tochter hinüber, die ihr genauso reglos g e genüberstand. Ich schob das Visier hoch und spähte mit dem Wahren Blick durch die Dunkelheit.
    »Siehst du es auch?«, fragte der Kater.
    »Ja.«
    Zwischen Garet und Reata zirkulierten in der Luft matt leuchtende, grüne Fäden. Von ihren Fingern tropften graue Lichter aufs Deck.
    »Ich vermute, sie dienen der Dämmerung«, meinte der Kater sehr leise und sogar mit einer gewissen Erleichterung.
    »Ist das schlecht?«, fragte ich leise.
    »Wo denkst du hin? Das ist weder gut noch schlecht. Sie gehen l e diglich ihren Weg, wir unseren. Und im Moment kreuzen sich die be i den.«
    »Geh zu Len«, verlangte ich. »Vorsichtshalber.«
    Der Kater nickte und flog nach achtern. Len hatte sich offenbar an der immer kleiner werdenden Stadt festgeguckt. Ich ging zu den Fra u en und blieb etwas abseits stehen, damit ich nicht in das grüne Spi n nennetz geriet.
    »Ich störe doch nicht?«, fragte ich.
    »Jetzt nicht mehr«, antwortete Garet, die den Blick von ihrer Toc h ter löste. »Du siehst alles?«
    »Hm«, beteuerte ich lieber mal.
    »Dann sag deinem Freund, er soll die Augen schließen und das V i sier hochschieben.« Nachdem Garet mich angesehen hatte, fügte sie noch hinzu: »Du kneif die Augen besser auch zusammen. Wir verla s sen diese Welt jetzt.«
    Automatisch spähte ich in die Richtung, in die die Jacht fuhr. Prompt machte ich einen kaum erkennbaren, regenbogenfarb e nen Film aus, der vibrierte und sich langsam dehnte. Als ob wir aus einer riesigen Seifenblase rausfahren würden …
    »Len, das Visier hoch!«, schrie ich. »Schieb das Visier hoch und schließ die Augen!«
    Im nächsten Moment platzte der regenbogenfarbige Film unter dem Druck des Schiffs. In die Finsternis strömte Licht.
    Das war so, als drücke man in einem dunklen Zimmer auf den Lich t schalter. Die Sonne geht nicht so schnell auf, Wolken können sich nicht mit der Geschwindigkeit eines Düsenfliegers verziehen. Hier aber veränderte sich alles von einer Sekunde auf die nächste. Die Fin s ternis wich dem Licht, das dunkle, undurchdringliche Wasser einem hellen, azurblauen Meer, die grauen Umrisse der Jacht einem Feue r werk fröhlicher Farben. Diese Farben faszinierten mich mehr als alles andere. Das Licht hatte ich noch nicht

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