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Der Herr der Finsternis

Der Herr der Finsternis

Titel: Der Herr der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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mehr. Aufgebracht ri e fen alle durcheinander. Der Lärm tat mir sogar in den Ohren weh. Doch als Shoky den Arm hob, verstummten nach und nach alle wi e der.
    »Das ist eine Provokation«, urteilte er mit fester Stimme.
    Sein Ton trieb mir einen eisigen Schauer über den Rücken. Ich hätte nicht gewusst, was ich darauf sagen sollte, doch an meiner Stelle e r griff nun der Kater das Wort. »Ich bin auch bei diesem Turm gew e sen! Und ich spreche im Namen des Lichts!«
    Shoky, der schon etwas vorbringen wollte, schwieg dann doch.
    »Glaubt jemand von euch etwa, das Licht könnte lügen?«
    Stille. Aber der Kater erwartete eine Antwort.
    »Nein, das Licht lügt nicht«, stieß Shoky widerwillig hervor.
    »Richtig!«, sagte der Kater. »Und deshalb hört mich an: Ich bin in diesem Turm der Freiflieger gewesen und habe ihre Gespräche gehört. In ein paar Tagen werden eure Städte im Schwarzen Feuer lodern. Eure einzige Chance besteht darin, als Erste anzugreifen.«
    Der Kater sprach so überzeugend, dass ich unwillkürlich dachte: Wann und wo hat er das denn gehört? Schließlich hatten die Freifli e ger doch gar nicht die Absicht, anzugreifen …
    »Das ist eine Provokation«, wiederholte Shoky. »Eine Provokation der Freiflieger. Sie wollen uns Angst einjagen. Mir ist klar, dass du nicht lügst, aber auch das Licht kann sich irren.«
    Wieso lief bloß alles so schief? Die Flügelträger wunderten sich ü berhaupt nicht über unsere Rückkehr, meine geheilten Augen oder den Sonnenkater …
    »Wieso glaubt ihr uns nicht?«, schrie ich. »Wir sind aus einer and e ren Welt! Uns hat das Licht geschickt!«
    Als ich den Blick des Katers auffing, las ich Missbilligung darin. Shoky ließ sich nicht mal zu einer Antwort herab. An seiner Stelle antwortete ein Erwachsener, ein älterer Mann von etwa vierzig Jahren, der sich durch die Menge gequetscht hatte.
    »Bildest du dir eigentlich ein, du wärst der Erste, der zu uns g e kommen ist, um uns zu helfen, mein Junge?«
    Es hatte keinen Sinn, darauf zu antworten.
    »Ich bin in deinem Alter gewesen, als ein Krieger aus dem Köni g reich Tamal in unsere Stadt kam. Auch er hat behauptet, das Licht habe ihn geschickt. Er hat uns aufgefordert, in den Kampf zu ziehen, und geschworen, er würde ganz allein den Turm des Herrn der Fin s ternis zerstören. Er wurde nie wieder gesehen.«
    »Wenn ihr ihm geholfen hättet … «, setzte ich an.
    »Wir haben ihm geholfen. Mit ihm ist die Hälfte der Flügelträger unserer Stadt losgezogen. Keiner von ihnen ist je zurückgekehrt.«
    Der Mann trat an mich heran, legte mir die Hand auf die Schulter und meinte fast zärtlich: »Du willst uns helfen und dafür danke ich dir. Du hast uns am Anfang getäuscht, aber du hast bewiesen, dass du deine Flügel zu Recht trägst. Ich freue mich, dass du wieder sehen kannst … noch dazu be s ser als vorher, denn schließlich stehst du hier ohne Brille. Ich spreche jetzt im Namen der erwachsenen Männer, aber ich glaube, die Flüge l träger und die Frauen der Stadt stimmen mir zu. Bleibt in der Stadt, wir freuen uns, euch bei uns zu haben, oder geht euren Weg – auf dem euch Glück beschieden sein möge. Aber einen Krieg werden wir nicht anfangen.«
    »Vielen Dank, Senior meines Seniors«, erklärte Shoky in feierl i chem Ton. Daraufhin strömten die Erwachsenen wie auf einen gehe i men Befehl hin auseinander. Nach ihnen verließen auch die Mädchen den Platz. Nur die Flügelträger blieben noch übrig.
    »Shoky … « Mir entging der jämmerliche und bittende Unterton in meiner Stimme nicht. Aber Shoky ließ mich nicht zu Wort kommen.
    »Wir brauchen darüber nicht weiter zu diskutieren, Danka. Unsere Entscheidung steht fest. Euer Haus ist in Ordnung, ihr könnt wieder dort wohnen. Essen wird euch gebracht, das ordne ich an. Ruht euch jetzt aus.«
    Kurz darauf standen wir allein auf dem Platz.
    Ein leichter, aber kalter Wind wehte, hoch oben zogen sich die Wo l ken zusammen. Kein einziges Licht war in den verhangenen Fenstern zu sehen, kein einziges Geräusch in den Straßen, die vom Platz we g führten, zu hören.
    Finsternis und Freudlosigkeit. Schwärze und Stille. Nacht und Nichts.
    Nur die Säule in der Mitte des Platzes. Erst jetzt ging mir auf, dass es sich um einen Galgen handelte, dessen Strick allerdings bis zum nächsten Gebrauch abgenommen worden war.
    Ich wechselte vom Wahren Blick zum normalen über. Daraufhin zog sich die Welt zusammen, verwandelte sich in einen winzigen Käfig, den der

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