Der Herr der Habichts - Insel
Nebengemach und sein Anblick bleibt dir erspart.«
Mirana blickte Hormuze an und sagte mit ruhiger Stimme: »Ich bin bleich, das ist wahr, doch ich habe keine Angst. Der König ist tot, nicht ich. Du hast mir ein Theater vorgespielt, und ich verstehe nur einen Teil davon. Doch ich frage dich, Hormuze, warum hast du gerade mich auserwählt? Du sagst, du hast mich gesehen, als ich sehr jung war, und hast damals schon deine Pläne geschmiedet. Warum ich?«
Er lächelte, und das Lächeln war voll süßer Sehnsucht, die jedoch nicht ihr galt. Es war eine Sehnsucht, die sich in die Vergangenheit richtete.
Aufrichtig sagte er:
»Weil du das Abbild meiner verstorbenen Gemahlin bist. Ihr Name war Naphta, und sie diente einer Dame von hohem Stand in meinem Land. Ich spreche von Ägypten«. Mirana hatte nie zuvor von diesem Land gehört. »Sie starb, weil die Dame eifersüchtig und voller Haß gegen sie war, da ihr hochgestellter Gemahl Naphta begehrte. Heimtückisch stach sie Naphta ein Huzamesser, mit einer winzigen, spitz zulaufenden Klinge, in den Haaransatz im Nacken, wo niemand die Wunde entdecken würde. Doch ich fand sie. Ich hielt meine wunderschöne, tote Gemahlin in den Armen, untersuchte sie und fand den winzigen Einstich unter den blutverklebten Haaren. Die Dame hatte sie getötet, so wie schon andere getötet hatte, die sie an Schönheit übertrafen. Sie hatte meine wunderschöne Naphta umgebracht. Als ich die Kunde ihrer Mordtat verbreitete, wußte ich, daß die Dame auch mich töten würde. Mit meiner kleinen Tochter Eze gelang mir in letzter Sekunde die Flucht. Ich reiste in den Norden, um hier mein Glück zu machen. Und ich fand es.«
Mirana sah ihn an, unfähig, seine Motive zu begreifen. »Ich sehe deiner verstorbenen Gemahlin ähnlich? Du hast diesen langwierigen Plan und den Tod des Königs ausgeheckt, nur weil ich einer anderen Frau ähnlich sehe? Aber das ist doch schierer Wahnsinn.«
Er sah sie nun weniger zärtlich an. »Du sprichst nicht wie sie, doch das wird sich unter meiner Anleitung ändern. Sie stellte mein Handeln nie in Frage, sie erfüllte mir jeden Wunsch. Sie widersprach mir nie mit scharfer Zunge. Auch du wirst dich ändern, Mirana, zweifle nicht daran.
Ich trage ihr Bild in meinem Herzen, und ich sehe sie jeden Tag vor mir, denn auch unsere Tochter ist ihr Abbild. Zwischen dir und meiner kleinen Eze besteht eine große Ähnlichkeit. Sie sieht dir weniger in ihren Gesichtszügen ähnlich, als in den Augenblicken, in welchen sie ihren Träumen nachhängt — und wenn sie lächelt. Ich werde wieder mit meiner Naphta vereint sein. Und ich werde ein Königreich, Macht und Reichtum besitzen. Das alles werde ich mit dir teilen, Mirana, denn du bist die Gemahlin des Königs. Ich bin er geworden, und vor dir steht dein Gemahl und dein König. Ich bin Sitric.«
Kapitel 30
Die Ereignisse überstürzten sich. Miranas Gedanken schwirrten durcheinander. Sie sah ihn ungläubig an, mit welchem Selbstvertrauen er über die Geschehnisse sprach und über das, was vor ihm lag. Er sah nur, was er sehen wollte, eine andere Möglichkeit gab es für ihn nicht.
»Du kannst nicht im Ernst glauben, daß die Leute dich für den König halten. Sie würden dieses Wunder zwar gerne glauben, die Wiedergeburt, die du dem König eingeredet hast, doch die Menschen werden die Verwandlung nicht hinnehmen, nicht wenn du vor ihnen stehst. Du siehst so fremdländisch aus, so anders als wir.«
»Hast du so schnell vergessen, daß selbst du mich für einen alten Mann gehalten hast und daß alle, auch der König, in mir einen Greis, ja manche sogar einen Priester sahen? Sie werden mir Glauben schenken, da ich mich weiterhin jeden Tag verkleiden werde. Nur du wirst mich sehen, wie ich wirklich bin, jede Nacht, wenn wir zusammen sind. Ja, sie werden sich an mich gewöhnen. Und bald werden sie vor Begeisterung jubeln, daß ich wiedergeboren bin durch Hormuze, den Zauberer.«
»Nein«, sagte sie. »Nein. Die Leute sind nicht dumm. Sie werden dir die Wiedergeburt von König Sitric nicht abnehmen. Ich rate dir, das einzusehen und zu fliehen, bevor man entdeckt, daß du Sitric ermordet hast. Seine Krieger lieben ihn nicht, aber sie haben ihm Treue geschworen. Man wird dich töten.«
Er blickte sie finster an, seine Nacktheit schien ihm völlig gleichgültig. Er stand über dem Leichnam des Königs, als sei er nichts als ein toter Gegenstand. Er hatte nur Augen für Mirana. Langsam sagte er: »Naphta stellte mein Urteil,
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