Der Herr der Habichts - Insel
sie sich um.
Vor Mirana stand ein schöner Knabe, dessen goldenes Haar bis zur Schulter reichte. Seine glatte Haut hatte einen olivfarbener! Schimmer. Nur seine Beine waren mit einem goldenen Flaum bedeckt, und sein Geschlecht lag in einem goldenen, kraushaarigen Nest. Sonst war er unbehaart. Sein Körper war schmal und geschmeidig wie der eines Mädchens.
»Ich sagte dir, daß ich anders bin. Bin ich nicht schön?« Der Knabe drehte sich eitel wie ein Pfau im Kreis, die Arme in die Hüften gestemmt. »Ich mache mit Einar Dinge, die ihm mehr Lust bereiten, als diese zwei dummen Gänse je zuwege bringen. Er wird beide verkaufen, das hat er mir versprochen. Ihre dummen Gesichter langweilen mich. Ihre Brüste hängen wie Kuheuter an ihnen. Mich wird er nie verstoßen. Er verprügelt mich gelegentlich, weil er ein sprunghaftes Wesen hat, aber er wird mich nicht wirklich verletzen, und er wird mich nicht wegschicken.«
Mirana starrte den Knaben sprachlos an. Erinnerungen stiegen in ihr hoch. Es hatte Knaben vor ihm gegeben, doch sie hatte nicht begriffen, nicht im Traum daran gedacht, daß ihr Bruder sie wie Frauen in sein Bett nahm. Wußte Gunleik davon? Wußten seine Krieger davon? Ingolf hatte es wohl gewußt und darüber gespottet, und Einar hatte ihn deshalb getötet.
Sie schloß die Augen. Aber es hatte auch Frauen gegeben, viele Frauen. Keine Geliebte und kein Liebhaber hatte sich seiner Gunst lange erfreut. Sie erinnerte sich an den Jungen, den sie versucht hatte zu beschützen. Damals hatte Einar sie wegen ihrer Einmischung ausgepeitscht, und der Junge war gestorben. War auch er ein Geliebter Einars gewesen?
»Sieh mich gefälligst an! Ich bin schöner, als du dir es je erträumt hast. Sieh mich an! Keine von euch weißhäutigen Weibern kann sich mit meiner Schönheit messen. Einar wird diese neue Schlampe Sira vermutlich ein paar Mal rammeln, doch dann kehrt er zu mir zurück. Es ist nur ihr silberblondes Haar, das ihn reizt, mehr nicht.«
»Wie heißt du?«
Der Bursche lächelte. »Nenn mich Leila. Einar hat Spaß daran, mich bei einem Frauennamen zu nennen und mich in Frauenkleidern zu sehen. Das amüsiert ihn. Auch seine Männer müssen mich Leila nennen. Sie hassen mich, doch das stört mich nicht. Einmal verlangte Einar, ich solle den alten Svein Gabelbart umschmeicheln. Ich dachte, der alte Tölpel fällt in Ohnmacht, als ich seinen verschrumpelten Schwanz anfaßte. Ja, seine Männer müssen ihre Zunge hüten, denn ich bin der Günstling ihres Herrn.
Dich, Mirana, habe ich anders eingeschätzt. Ich hatte Angst vor dir, denn in Einar ist etwas Dunkles, etwas Verwirrendes, wovon ich dachte, daß es mit dir Zusammenhängen würde, als seist du ein Schatten, der ihn begleitet. Doch jetzt kenne ich dich und kann wieder lachen und mir meiner Sache sicher sein. Er sieht dich nur als seinen Besitz, den er benutzt, um seine Macht und seinen Reichtum zu vermehren. Du bist keine Bedrohung für mich. Er lobt deine Vorzüge nur, um mich eifersüchtig zu machen. Er spricht liebevoll von dir, weil er weiß, daß ich ihn dann umsomehr liebe, und bald bist du ohnehin nicht mehr hier.
Doch mußte ich mit dir reden und mir dein Gesicht aus der Nähe ansehen. Jetzt kann ich beruhigt in Einars Bett zurückkehren. Von dir droht mir keine Gefahr.«
Der Knabe Leila lachte abermals, kleidete sich rasch an und verließ die Schlafkammer. Am Eingang wandte er sich noch einmal zu ihr um. Mirana sagte mit träger, spöttischer Stimme: »Glaubst du wirklich, Kleiner? Ich bin wieder da, und du wirst lernen, was es heißt, Angst zu haben. Vergiß nicht, Einar ist mein Bruder. Glaubst du, wir unterscheiden uns so sehr voneinander? Du scheinst noch nicht zu wissen, was es heißt, Angst zu haben.«
Der Knabe erbleichte sichtlich, doch dann lachte er unsicher, drehte sich um und war verschwunden.
Mirana legte sich zurück, ihr Herz schlug ihr bis zum Halse. Sie war in einen Alptraum zurückgekehrt. Sie würde die Habichtsinsel wohl nie Wiedersehen. Auch nicht Rorik. Sie hatte keine Heimat mehr.
Sie lag mit geschlossenen Augen da und ließ das Erlebte noch einmal im Geiste an sich vorüberziehen. Im Grunde war sie es, die Angst vor Leila hatte. Denn er hatte ihr gezeigt, wie wenig sie ihren Halbbruder kannte. Doch dann erkannte sie, daß der Knabe ein Nichts war. Von Einar drohte ihr Gefahr und von niemandem sonst.
Wieder einmal fragte sie sich wie schon so oft, ob Rorik sie wohl für tot hielt.
Rorik und Kron standen im
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