Der Herr der Habichts - Insel
Schatten der Befestigungsmauer in Dublin. Hafter, Aslak und Raki lagen in einigem Abstand auf der Lauer.
Kron sagte leise: »Dort drüben befindet sich der Eingang zu den Privatgemächern des Königs. Sie werden von drei Posten bewacht, die alle sehr gefährlich aussehen.«
»Wir müssen sie töten, schnell und lautlos. Woher droht uns noch Gefahr?«
»Jeden Tag bei Einbruch der Nacht wird eine Frau zum König gebracht. Wenn sie seinen Schwanz nicht zum Leben erwecken kann, wird sie fortgeschickt, und Aylla erscheint. Sie ist die Frau, die bei ihm schläft, die ihn wie einen Säugling wiegt und sein Greisengesicht an ihre Brüste drückt. Sie gibt ihm seinen Schlummertrunk, den Hormuze zubereitet.«
Rorik gab einen Laut des Abscheus von sich.
»Ja, es stimmt«, sagte Kron. »Ich habe das von einer Sklavin erfahren. Sie sagte, während der König schläft, spricht Aylla immer wieder eine Zauberformel über ihn, die dem König Lebenskraft zurückgeben und die Dämonen vertreiben soll, die ihn altern und seine Männlichkeit schrumpfen lassen.«
»Wer gibt ihr die Beschwörungsformeln?«
»Hormuze, der Ratgeber und Arzt des Königs. Er ist ein Greis wie der König, doch er ist listig und gefährlich. Er ist keiner von uns. Sein Name klingt fremdländisch, und er soll aus einem Land kommen, das noch weiter im Süden liegt als Miklagard. Es ist ein Land, in dem es nur Wüste gibt und riesige Grabmäler großer Könige, die vor vielen Jahrhunderten errichtet worden waren. Er spricht eine fremde Sprache. Das sagte mir eine Dienerin, die ich bestochen habe. Sie hörte, wie er mit seiner Tochter redete. Er soll großen Einfluß auf den König haben. Der König bleibt zwar für viele seiner Untertanen unsichtbar, doch die, die ihn sehen, sind felsenfest davon überzeugt, daß nur er die Entscheidungen trifft und Befehle gibt. Hormuze, so sagen sie, sei nur sein Ratgeber und Arzt. Wenn es darum geht, plündernde irische Häuptlinge zu unterwerfen, so sei es der König, der die Befehlsgewalt ausübe. Wie ich hörte, wollen der König und Hormuze Mirana schon bald aus Clontarf holen.«
Rorik nickte: »Und was halten die Untertanen und Krieger des Königs von Hormuze?«
»Er ist ihnen unheimlich. Sie haben Angst vor ihm, da sein Einfluß auf den König sehr groß ist. Hormuze hat ihnen eingeredet, daß der König, sobald er Mirana, Tochter des Audun, am ersten Tag im September zur Gemahlin genommen hat, voll Lebenskraft und Jugend wiedergeboren und seinem Volk Söhne zeugen wird, die sein Land dann bis in alle Ewigkeit regieren werden. An diesem Tag wird er verjüngt vor sie treten, und alle werden erkennen, daß er die Wahrheit gesprochen hat. An diesem Tag, so verspricht er, werden außerdem die irischen Häuptlinge und ihre Streitkräfte wie Würmer zermalmt. Das Volk glaubt fest daran, daß der König als junger Held aus dem Brautgemach treten und sein Volk zu ungeahntem Glanz und großen Siegen führen wird.«
»Wie hirnlos sind diese Dummköpfe eigentlich?« Rorik spuckte verächtlich aus.
»Wieso hat er gerade Mirana gewählt? Sie entstammt keinem Königshaus und ist nicht adeligen Geblüts. Wieso ausgerechnet sie?«
Kron schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Das weiß niemand, nur Hormuze und der König.«
Rorik hatte eine Idee. »Sag mal, Kron, hat Hormuze eigentlich eine Frau? Einen Sohn oder eine Tochter?«
»Ja, eine Tochter. Ein Kind von zehn Jahren.«
»Und er selbst ist ein alter Mann?«
»Ja, uralt, eine alte Mumie.«
»Seltsam, daß er im hohen Alter noch ein Kind gezeugt hat. Hat er sie gern?«
»Ja, Herr. Hormuze vergöttert die Kleine. Sie soll ein liebes Kind sein, obwohl er sie wie eine Prinzessin verwöhnt. Eine Ehefrau gibt es nicht. Sie muß gestorben sein, ehe Hormuze an den Hof des Königs kam.«
Rorik rieb sich die Hände.
»Ausgezeichnet«, sagte er. »Viel Zeit haben wir nicht, aber es wird reichen.«
Hormuze war ein sehr vorsichtiger Mann. Er traute keinem. Mit großer Sorgfalt klebte er den grauen Bart an, der sein Gesicht bedeckte und bis zur Mitte der Brust reichte. Sodann befestigte er die graue Perücke über seinem eigenen vollen, schwarzen Haar. Geschickt und mit der Routine langer Erfahrung rieb er sich das Gesicht mit einem Extrakt aus Walnußöl ein und zeichnete damit tiefe Furchen in die Stirn und um die Augen. Er hielt die Menschen nicht für so dumm, wie der König es tat. Aber er war davon überzeugt, daß die Menschen nur das sahen, was sie sehen wollten.
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