Der Herr der Habichts - Insel
hielten Hormuze für einen alten Mann, und deshalb war er es auch. Er erhob sich von seinem Stuhl aus Rosenholz und befestigte die drei Schichten weicher Federkissen um seinen schlanken Leib. Dann zog er sich sorgfältig an und betrachtete sich prüfend in dem polierten Messingspiegel. Er war zufrieden mit seinem Erscheinungsbild. Die Tür öffnete sich, und Eze stand da mit seitlich geneigtem Kopf.
»Du siehst aus wie ein richtiger Großvater, Papa«, sagte sie, lief auf ihn zu und küßte ihn auf die künstlich gealterte Wange.
»Still, Eze«, sagte Hormuze und strich über ihr weiches, schwarzes Haar. »Du bist so schön, mein Kind, wie deine arme Mutter. Aber es dauert nicht mehr lang.«
»Ja, Papa«, sagte das Kind und küßte ihn noch einmal. »Paß auf dich auf, Papa.«
»Ja, das tue ich.«
Draußen vor dem kleinen Fenster wich Kron zurück, verblüfft von der Szene, die sich ihm bot. Bei den Göttern, wie seltsam, ein junger Mann verwandelte sich in einen Greis — und dann das kleine Mädchen! Kron schüttelte ungläubig den Kopf. Sie hatten sich in einer fremden Sprache unterhalten. Rasch zog Kron den leblosen Körper des Wachtpostens um die Ecke. Er hatte dem Mann die Stiefel und den Armschutz aus gehämmerten Silber gestohlen. Alle würden glauben, es sei nur ein Diebstahl gewesen.
Kapitel 27
Die Nacht war dunkel. Schwere Wolken jagten über den Himmel. Die Luft war regenfeucht, und der Wind fuhr ihr kalt durch alle Glieder.
Mirana wartete geduldig. Gunleik würde kommen. Doch es schien eine Ewigkeit vergangen zu sein, seit er ihr zugenickt hatte. Wo blieb er nur?
Plötzlich raunte es leise wie der Sommerwind an ihr Ohr: »Was machst du hier draußen, Mirana? Du hast kaum etwas gegessen, obgleich die Frauen deine Lieblingsspeisen zubereitet haben. Du bist zu dünn. Komm und iß von dem gebratenen Huhn.«
Er klang so mitfühlend und zärtlich. Sie erschrak bis zur Sprachlosigkeit. Doch als sie sich Einar zu wandte, lag ein süßes Lächeln auf ihrem Gesicht. Ihre Finger legten sich auf seinen Arm. »Danke, Bruderherz. Ich fürchte, ich habe eine kleine Magenverstimmung. Ich habe wohl etwas Falsches gegessen. Morgen bin ich wieder gesund.«
Er runzelte die Stirn. »Sira sagte, Roriks Verwandte hätten versucht, dich zu vergiften. Du wärest beinahe gestorben, und eine andere Frau sei wirklich umgekommen. Bist du sicher, daß es nur eine Magenverstimmung ist, Mirana?«
Sie nickte. »Ja, ganz sicher.«
»Wie gut, daß du wieder zu Hause bist. Bei allen Göttern, ich habe mir große Sorgen um dich gemacht. Gunleik ist alt geworden. Ich habe ihn für sein Versagen ausgepeitscht. Dann schickte ich ihn auf die Suche nach dir. Er ist ein listenreicher Krieger. Ich wußte, daß er dich ausfindig machen würde, wenn du noch am Leben bist.«
»Ja. Hast du ihn deshalb nicht zu Tode geprügelt?«
Er nickte. »Er ist mir noch von Nutzen.« Er wies auf eine Möwe, die auf einem Pfosten hockte. »Leila liebt Vögel wie du. Sie füttert die Möwe jeden Tag und nennt sie Gorm. Sie ist noch jung und hat den Kopf voller Hausen.«
Mirana lachte leise. »Sprichst du von dem Knaben, der sich wie ein Mädchen kleidet?«
Er zuckte zusammen und sie sah einen Schauder durch seinen Körper jagen. »Woher weißt du das, Mirana?«
»Deine Leila kam letzte Nacht in meine Kammer und zog ihre Kleider aus, um mir zu zeigen, daß sie anders ist als andere Frauen und daß du ihrer nie überdrüssig wirst und sie liebst, weil sie dir Lust bereitet, die keine Frau dir geben kann. Deine Leila ist ein hübscher Knabe, Einar. Seltsam, daß ich das nicht wußte. Alle wußten es, doch keiner hat mir etwas davon gesagt.« Ihre Stimme war sachlich, ohne Verurteilung, ohne Abscheu. Es fiel ihr zwar schwer, aber sie schaffte es. Sie sah, wie er sich langsam entspannte.
»Ich werde den Jungen verprügeln müssen«, sagte er sanft. »Das hätte er nicht tun dürfen. Ich hätte nicht gedacht, daß ich ihm befehlen muß, sich von dir fernzuhalten. Er hat eigenmächtig gehandelt. Dafür muß ich ihn bestrafen. Wie gesagt, er ist jung und braucht eine strenge Hand. Ich hätte es dir rechtzeitig gesagt. Und wäre ich seiner bald überdrüssig geworden, wäre es gar nicht nötig gewesen. Dann hätte ich ihn einfach verkauft.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Es interessiert mich nicht, welche Lüste du mit wem befriedigst. Ein Mann kann tun und lassen, was er will. Und du bist ein großer Anführer, Einar.« Sie beobachtete, wie ihm bei
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