Der Herr der Lüfte
Schiff zu General Shaws Basis fliegen. Er sagt, er wird keinen von uns umbringen, wenn ich das mache.«
»Nach allem, was heute nacht geschehen ist, kann man auf sein Wort nicht allzuviel geben«, meinte Dutschke. Er stieß ein seltsames, heiseres Lachen aus. »Merkwürdig, daß Sie unsere Politik so widerlich finden und dann in aller Ruhe gemeinsame Sache mit ihm machen!«
»Er ist kaum ein Politiker«, erklärte ich. »Abgesehen davon würde das keine Rolle spielen. Er hält alle Karten in der Hand - bis auf die, die ich nun ausspiele.«
»Gute Nacht, Mr. Bastable«, sagte Una Persson und streichelte den Kopf ihres Vaters. »Ich glaube, daß Sie es gut meinen. Danke.«
Verlegen trat ich wieder aus der Kabine und kehrte auf die Brücke zurück.
Am Morgen hatten wir Wuchang erreicht, und Shaw war ganz offensichtlich weit entspannter als in der Nacht. Er ging so weit, mir ein Opiumpfeifchen anzubieten, was ich kategorisch ablehnte. In jenen Tagen hielt ich Opium für ziemlich abscheuliches Zeug - das zeigt, wie sehr ich mich verändert habe, was?
Wuchang war eine ziemlich große Stadt, doch wir überflogen sie, ehe sie richtig zum Leben erwacht war, hinweg über Terrassendächer, Pagoden und kleine, blaugedeckte Häuser, während Shaw sich orientierte und in die Richtung deutete, die wir einschlagen sollten.
Nichts ähnelt einem chinesischen Sonnenaufgang. Eine große, wäßrige Sonne erschien am Horizont, das ganze Land war in weiche Rosa-, Gelb- und Orangetöne getaucht, als wir uns den sandfarbenen Bergen näherten. Ich hatte das Gefühl, daß wir solche Schönheit mit unserem alten, zerschrammten Schiff voller Schurken der verschiedensten Nationalitäten beleidigten.
Dann überflogen wir die Berge selbst, und Shaw hieß uns, unsere Geschwindigkeit zu drosseln. Er erteilte ein paar raschere Befehle in Kantonesisch, worauf einer seiner Männer die Brücke in Richtung der Leiter verließ, die ihn auf den obersten Außeninspektionsgang führte; gewiß sollte der Mann Zeichen geben, daß wir keine Feinde waren.
Dann befanden wir uns plötzlich über dem Tal. Es war ein tiefes breites Tal, durch das sich ein Fluß schlängelte. Es war ein grünes, üppiges Tal, das zwischen der felsigen Landschaft völlig fehl am Platze schien. Ich sah grasende Viehherden. Ich sah kleine Bauernhäuser, Reisfelder, Schweine und Ziegen.
»Ist das das Tal?« fragte ich.
Shaw nickte. »Das ist das Tal der Morgendämmerung. Und schauen Sie, Mr. Bastable, dort liegt mein Lager…«
Er deutete nach vorn. Ich erblickte ein hohes, weißes Gebäude, das von Grünflächen umgeben lag. Ich sah Springbrunnen plätschern und die winzigen Gestalten spielender Kinder.
Über dieser modernen Siedlung flatterte eine große, scharlachrote Fahne - zweifellos Shaws Kriegsfahne. Ich war erstaunt, in dieser Wildnis eine solche Siedlung zu finden, und noch erstaunter, zu erfahren, daß es sich um Shaws Hauptquartier handelte. Es schien alles so friedlich, so zivilisiert!
Shaw grinste mich an, meine Überraschung erheiterte ihn sehr.
»Nicht schlecht für einen barbarischen Kriegsherrn, wie? Wir haben alles selbst aufgebaut. Es gibt dort jede Annehmlichkeit - und sogar einige, die nicht einmal London zu bieten hat.«
Ich sah Shaw mit neuen Augen. Er mochte ein Bandit, Pirat und Mörder sein - doch er mußte auch mehr sein, um eine solche Stadt in der chinesischen Wildnis zu errichten.
»Haben Sie meine Reklame nicht gesehen, Mr. Bastable? Vielleicht haben Sie den Shanghai Express in letzter Zeit nicht zu Gesicht bekommen. Dort nennt man mich jetzt den chinesischen Alexander! Dies hier ist mein Alexandria. Das ist Shawtown, Mr. Bastable!« Er kicherte wie ein Schuljunge vor Freude über seine eigenen Erfolge. »Ich habe es erbaut! Ich habe es selbst erbaut!«
Mein erster Schock der Verwunderung ließ nach. »Vielleicht«, murmelte ich, »aber Sie haben es mit dem Fleisch jener erbaut, die sie ermordet haben, und ihr Blut besudelt ihre Fahne.«
»Eine ziemlich theoretische Erklärung für Sie, Mr. Bastable. Zufälligerweise bin ich normalerweise nicht Handlanger für Morde. In Wirklichkeit bin ich Soldat. Ist Ihnen der Unterschied bewußt?«
»Der Unterschied ist mir sehr wohl bewußt, doch meine Erfahrung hat mir gezeigt, daß Sie nicht mehr sind als ein Mörder, General Shaw.«
Wieder lachte er. »Wir werden sehen. Jetzt schauen Sie mal dort hinüber! Erkennen Sie sie? Dort - am anderen Ende der Stadt? Da!«
Schließlich sah ich sie, ihr
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