Der Herr der Ohrringe (German Edition)
überziehen!«, warnte Frohdoof, und er wies auf seinen Ohrring, eine Geste, die den Grüngewandeten schleierhaft blieb.
»Ist das wirklich wahr?«, fragte Falesbyer. »In dem Fall müssen wir euch ziehen lassen.«
Der Heerführer folgte also vorbehaltlos unausgegorenen Beweisführungen, und das mag Kennern der Materie bekannt vorkommen.
»Und ihr nehmt uns auch nicht den schönen Ohrring weg?«, fragte Samenweis überflüssigerweise.
»Was für ein allerliebstes Kleinod, das ihr da habt!«, rief Falesbyer, auf den Schatz aufmerksam geworden. »Wem sollte es gebühren, wenn nicht mir, Falesbyer, Heerführer aus Gondel, he?«
Und er riss ein wenig am Ohrring, der sich jedoch nicht lösen ließ. »Myst-h«, sagte er noch – und dann, urplötzlich, erschauderten sie alle unter dem furchtbaren Getöse eines heraneilenden Ulyphanten, eines Monsterwesens aus der Frühzeit der Mittelmäßigen Welt, dessen Beine wie stampfende Säulen waren. Fortan waren einige Freunde Falesbyers nicht mehr; und Frohdoof und Samenweis nutzten die Gelegenheit des plötzlich entstehenden Tumults, um unter ein Blätterdach zu hechten. Nie wieder würden sie einen derartig Grüngekleideten treffen, vermuteten sie, und lagen damit richtig.
In der darauffolgenden Zeit, die verging wie alle anderen Zeiten zuvor, seitdem Eydu das Vergehen des Augenblicks erfunden hatte, krochen die zwei Hobbknicks durch mystisch hauchendes Gesträuch, alldieweil Frohdoof, vergeblich, wie sich herausstellen sollte, hoffte, sich mit dem Ohrring irgendworan zu verheddern, um ihn loszuwerden. Sie steuerten sogar absichtlich Ilex-Sträucher an, in denen verstrickt zu sein ihnen aber keine Erlösung brachte. In einem jener Gebüsche trafen sie erneut auf Guelle, der gerade damit beschäftigt war, neue Flüche zu erfinden, von denen er hoffte, dass sie später zu Sprichwörtern würden. Grünlich schaute er auf. »Ah, Schätzken! Da seid ja! Wir warteten. Neue Freunde losgeworden, he? Gut, gut. Jetzt schnell zur Leichenlichtstadt, hier herum, an dickem Felsen vorbei!«
Einunddreissigstes Kapitel:
Die Zwei Treppen von Gierig-Unwohl
Sie schlichen um den Felsen herum und gewahrten, ganz genau, wie sie es erwartet hatten, die Leichenlichtstadt Vidas Moduul, den Turm der Ohrringgespenster, in jenem albtraumhaften giftmondfahlen Tal zwischen den Bergen des Schattenrissgebirges, davon in dunklen Liedern gekündet wird. Und wieder quollen Dämpfe aus dem vergifteten Bach, und wieder riefen die schaurig-schönen Blumen im Wiesengrund nach ihnen, und wieder widerstanden sie allen möglichen Anfechtungen, denn es fehlte ihnen der Witz, verführbar zu sein.
»Beim Barte Ganzhalbs, is’ mir langweilig!«, grummelte Samenweis. »Nie werden wir verschlungen oder sowas.« Und sie schlichen weiter.
Als sie die Leichenlichtstadt hinter sich gelassen hatten, beflügelt durch ihre Gewieftheit, die ihnen geraten hatte, nicht anzuklopfen, wie Samenweis zunächst erwägt hatte, beschlossen sie, durchzuatmen. Vor allem Guelle war begeistert von der Idee.
»Atmen!«, flüsterte er. »Hat Shmirigh schon lang nicht mehr gemacht. O gute Idee der lieben kleinen Herren!« Dann kletterten sie durch nachtmahrisches Gestein.
»Was heißt nachtmahrisch?«, fragte Samenweis.
»Kleiner Döskopp mit dunklem Kraushaar sollte weniger quasseln «, flüsterte Guelle. »Oder leiser. Oder garr nich’.«
»Dunkles Kraushaar!«, rief Samenweis. »Stimmt ja, das hab ich! Ob später in den Bewegten Bildern daran gedacht wird?« Ihn fiel ein Zweifel an. »Und zu dick sollte ich auch nicht dargestellt werden! «
Als sie die Gerade Treppe und später auch die Gewundene Treppe von Gierig-Unwohl erklommen, stellten sie fest, dass die Dekoration im Treppenhaus nicht geschmackvoller war als in ihrer Weltenvariante. Von Guelle erwarteten sie nicht, dass er sich an Vergleichsüberlegungen beteiligen würde – denn schlechterdings hätte er dazu ja nichts sagen können.
»Wieso denn nicht?«, fragte jedoch der Undurchschaubare.
»Na, weil du doch beim letzten Mal, also… in der Anderen Welt nicht dabei warst!«, entgegnete Samenweis.
Der Verschlagene giggelte leise vor sich hin. »Und wenn Guelle doch mit dabei war?«, fragte er.
»Guelle, red keinen Unfug!«, rügte Frohdoof. »Wie solltest du bei unserem letzten Abenteuer dabei gewesen sein? Du weißt doch noch nicht mal, wovon wir reden!«
Und Shmirigh sagte: »Alles falsch, was dumme Dösköppe denken. Hab’ ihn umgebracht, den Guelle aus Dieser
Weitere Kostenlose Bücher