Der Herr der Ohrringe (German Edition)
unerträglichem Hochmut. Wie jedenfalls ich finde – genauso wie womöglich spätere Geschichtsschreiber. Nun aber müssen wir nach vorn schauen. Nicht allzu weit entfernt liegt Devotien, das Reich, darüber die Lady Gard Ariel herrscht. Lasst uns also gut Obacht geben!«
»Damit wir ja nicht dran vorbeilaufen?«, fragte Legospass.
»Damit wir ja dran vorbeilaufen!«, mahnte der Dauerläufer. Die anderen waren überrascht: galt doch die Herrin des Weißgoldenen Waldes gemeinhin nicht als eine der bösartigen Entitäten.
»Dass ihr euch da mal nicht täuscht!«, sprach Marathorn. »Es lauert eine Gefahr in ihrem Dickicht, die euch zugrunde zu richten imstande ist!«
Mit diesen Worten suchte er seine Gefährten vor der unseligen Macht Gard Ariels zu warnen: Denn war sie nicht in der Lage, einen jeden im Wald Verirrten in sich verliebt, ja richtiggehend gefügig zu machen? Ihn mittels ihrer atemberaubenden Schönheit zu einem willfährigen Sklaven umzumodeln – bis sie alle schließlich, liebend, verzweifelten? Ja. Solches vermochte die Betörende. Und sie tat es andauernd. Ansonsten wäre es ihr wahrscheinlich zu langweilig geworden in ihrem Zauberwald, inmitten all der säuselnden Albernen.
Also suchten die Gefährten nach weniger gefährlichen Pfaden. Jedoch waren sie noch nicht allzu lange gelaufen, in der Tat nur eine kleine Nacht hindurch, als sie gewahr wurden, dass sie nichtsdestoverdrossen unter den vielschattigen Bäumen Devotiens einherwandelten; und sie vernahmen einen Gesang, der sie alsbald einzulullen drohte. Eine Stimme von laszivem Hauchen, erotisch bis zur Schmerzgrenze, flirrte zwischen den Stämmen. Allerdings verstanden die Verirrten die Worte nicht und konnten sie daher nicht überliefern.
»Bei Eydu dem Einen, Schrecklassnach!«, rief Marathorn, fürchtend, alsbald von den Liebreizen Gard Ariels betört zu werden, und es wäre dies nicht das erste Mal gewesen, »ich denke, wir sollten uns ein wenig mehr rechts halten, es muss doch irgendwo einen Ausgang geben…«
Doch weh! Da stand sie vor ihnen, groß und schlank und schimmernd, mit goldenen Haaren, darin frischgefärbte lodernd-rote Strähnen leuchteten, angetan des verführerischsten Ornats, und ihre entblößten Schultern gleißten in einem Licht, wie’s die Gefährten vordem nimmer gesehen hatten.
»Hallo Marathörnchen«, lachte Gard Ariel und stülpte die vollen Lippen zu einer Kussgebärde, während sie aufreizend ihre nackten Flanken präsentierte. »Ich würd’ dich gerne fragen, wie’s geht, aber wichtiger ist mir, wie’s steht!?«
Da stand’s, namentlich schlimm, um den zerschlissenen Dauerläufer, und er wagte kaum, sich zu bewegen. Die Gefährten mussten erkennen, dass sie sich in einer Umgebung ungeahnter Gefahren befanden, und allenthalben schwirrten vor ihrem geistigen Auge die Konturen praller Hügel. Und so waren sie nach Devotien gekommen und hatten sich im Netz der anmutigen verruchten Lady verstrickt, daraus ein unversehrtes Entkommen nicht möglich war – was sie allerdings auch allzu bald gar nicht mehr wünschten. Stattdessen stöhnten sie, bibbernd vor Herzeleid.
Viele Tage und Nächte verbrachten die Verirrten im Weißgoldenen Wald, und ein jeder Tag war der Verehrung der schönen Frau gewidmet; in den Nächten jedoch priesen sie ihre Anmut. Wenn Gard Ariel ihren Bauchnabel entblößte, so verloren sie ihr Selbst; ließ sie hingegen die schlanken Hände über ihre Schenkel der Vollkommenheit fahren, so fanden sie’s nicht wieder. Lasziv jenseits aller Trockenheit der Annalen war sie, und ihre halb geschlossenen Augenlider tanzten immerzu durch die Träume der ergebenen Gefährten. Genauso wie ihr blitzendes spöttisches Lächeln dort herumtänzelte.
Auch Frohdoof verfiel der Erotischen Königin, und an einem zwielichtigen Abend, derweil die Weißgelockte in ihren Spiegel schaute, bot er ihr, halb besinnungslos vor Liebe, den Großen Ohrring an. »Nehmt Ihr ihn, holde Herrin! Denn allein Euch gebührt er!«
Und bedenkenlos gab er das schlimme Kleinod einfach her, überreichte es der unirdisch Grinsenden. Da stöhnte Marathorn vor Gram und Eifersucht, denn er saß nahebei und befürchtete, dass Frohdoof nun an ihm vorbeigedrängelt war in ihren hilflosen Versuchen der Gunsterringung.
Hell lachte die Betörende und rief: »Alle werden mich lieben, und dann der Verzweiflung anheim fallen!«
Und sie schmückte sich mit dem Einen, und ihre Schönheit wurde ins Unerträgliche gesteigert, sodass der
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