Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
über ungezählte Jahre hin habe ich bei ihm gewohnt; denn schon ehe Nargothrond und Gondolin fielen, bin ich über die Berge gegangen, und zusammen haben wir die Weltzeitalter hindurch gegen das langsame Erliegen angekämpft.
Ich war es, die zuerst den Weißen Rat zusammenrief. Und wären meine Pläne nicht fehlgeschlagen, dann hätte Gandalf der Graue den Rat geführt und vielleicht wäre alles anders gekommen. Aber auch jetzt ist noch Hoffnung. Ich will keine Ratschläge geben und sagen, tut dies oder tut jenes. Denn nicht durch Taten oder Pläne kann ich euch helfen, oder indem ich euch sage, nehmt diesen Weg oder jenen andern, sondern nur, indem ich weiß, was war und was ist, und zum Teil auch, was sein wird. Doch so viel kann ich euch sagen: Ob eure Fahrt gelingt, steht auf Messers Schneide. Der kleinste Fehltritt kann sie scheitern lassen, zu unser aller Verderben. Doch bleibt Hoffnung, solange alle Gefährten treu sind.«
Und mit diesen Worten fasste Galadriel sie ins Auge und sah sie einen nach dem andern forschend an, ohne ein Wort zu sagen. Niemand bis auf Legolas und Aragorn konnte ihrem Blick lange standhalten. Sam wurde gleich rot und senkte den Kopf.
Dann entließ Frau Galadriel sie aus ihrem Blick und lächelte. »Lasst euch das Herz nicht beschweren!«, sagte sie. »Schlafet heute Nacht in Frieden!« Sie seufzten und fühlten sich plötzlich erschöpft wie nach einem langen und unangenehmen Verhör, obwohl doch kein Wort gefallen war.
»Geht nun!«, sagte Celeborn. »Schwer geplagt seid ihr von Kummer und Entbehrung. Selbst, wenn eure Fahrt uns nicht so innig anginge, solltet ihr in dieser Stadt Zuflucht finden, bis ihr geheilt und gestärkt wäret. Ruhet nun aus, und von dem Weg, der noch vor euch liegt, wollen wir einstweilen nicht sprechen.«
In dieser Nacht schliefen die Gefährten zu ebener Erde, sehr zur Erleichterung der Hobbits. In der Nähe der Quelle stellten die Elben zwischen den Bäumen ein Zelt für sie auf und bereiteten jedem darinein weiches Lager; dann sprachen sie wohlklingende elbische Gutenachtworte und ließen sie allein. Ein Weilchen sprachen die Reisenden noch über die vorige Nacht in den Baumkronen, über den letzten Tagesmarsch und über den Herrn und die Herrin der Galadhrim; denn weiter zurückzublicken, fehlte ihnen noch der Mut.
»Warum bist du so rot geworden, Sam?«, sagte Pippin. »Du hast sehr schnell die Augen niedergeschlagen. Man sollte meinen, du hattest ein schlechtes Gewissen. Hoffentlich wegen nichts Schlimmerem als einem verruchten Plan, mir eine von meinen Decken zu stehlen.«
»An so was hab ich nicht gedacht«, antwortete Sam, der nicht zu Späßen aufgelegt war. »Wenn du’s wissen willst, mir war so, als ob ich nichts anhätte, und das passte mir gar nicht. Sie schien irgendwie in mich reinzugucken und mich zu fragen, was ich machen würde, wenn sie mir Gelegenheit gäbe, gleich wieder zu Hause im Auenland zu sein, in einer schmucken kleinen Höhle mit … mit einem Stück Garten drum herum.«
»Komisch!«, sagte Merry. »Fast genauso kam es mir auch vor, nur dass, na ja, mehr will ich lieber nicht sagen«, schloss er verlegen.
Allen war es anscheinend ähnlich ergangen. Jeder hatte das Gefühl gehabt, vor die Wahl gestellt zu werden zwischen einem schattenhaften Schrecken, der vor ihm lag, und etwas, das er sich sehnlichst wünschte: Dies stand ihm klar vor Augen, und um es zu bekommen, musste er sich nur seitwärts in die Büsche schlagen und die Mühen ihrer Fahrt und den Krieg gegen Sauron anderen überlassen.
»Und mir schien auch«, sagte Gimli, »dass meine Entscheidung geheim und nur mir allein bekannt sein würde.«
»Ich fand es ausgesprochen merkwürdig«, sagte Boromir. »Vielleicht wollte sie uns nur auf die Probe stellen und zu ihrem eigenen Nutz und Frommen mal unsere Gedanken lesen; aber fast würde ich sagen, sie hat uns in Versuchung geführt mit dem Angebot von etwas, das zu gewähren angeblich in ihrer Macht steht. Unnötig zu sagen, dass ich es mir nicht mal angehört habe. Die Menschen von Minas Tirith stehen zu ihrem Wort.« Aber was es war, das Galadriel ihm, wie er meinte, angeboten hatte, sagte Boromir nicht.
Frodo wollte für seinen Teil nichts dazu sagen, obwohl Boromir ihm mit Fragen zusetzte. »Dich hat sie lange im Blick gehalten, Ringträger!«, sagte er.
»Ja«, sagte Frodo, »aber was mir dabei in den Sinn kam, möchte ich für mich behalten.«
»Na, nimm dich in Acht!«, sagte Boromir. »Dieser
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