Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
lassen. Ich merke, ich habe mich hier ziemlich unbeliebt gemacht. Es heißt, ich sei eine Landplage und ein Ruhestörer. Manche Leute behaupten sogar, ich hätte Bilbo weggehext oder wer weiß, was noch. Wenn du’s hören willst: Man munkelt, wir beide, du und ich, steckten unter einer Decke und hätten Bilbo um seinen Besitz gebracht.«
»Manche Leute!«, rief Frodo. »Du meinst Otho und Lobelia. Wie abscheulich! Ich würde ihnen Beutelsend mitsamt allem anderen überlassen, wenn ich dafür Bilbo zurückbekäme und mit ihm durchs Land stromern könnte. Ich liebe unser Auenland. Aber allmählich kommt mir der Wunsch, ich wäre auch fortgegangen. Ich frage mich, ob ich ihn je wiedersehn werde.«
»Das frag ich mich auch«, sagte Gandalf. »Aber ich habe noch viele andere Fragen. Aber nun leb wohl! Pass auf dich auf! Halt Ausschau nach mir, besonders wenn du mich am wenigsten erwartest. Auf Wiedersehn!«
Frodo brachte ihn zur Tür. Der Zauberer winkte ihm noch einmal zu und schritt erstaunlich schnell davon; dennoch fand Frodo, dass der Alte ungewöhnlich krumm ging, fast so, als trüge er eine schwere Last. Der Abend brach herein, und bald war die Gestalt im grauen Mantel in der Dämmerung verschwunden. Frodo sah ihn lange nicht wieder.
ZWEITES KAPITEL
DER SCHATTEN DER VERGANGENHEIT
D es Geredes war nach neun und auch nach neunundneunzig Tagen kein Ende. Das zweite Verschwinden des Herrn Bilbo Beutlin blieb in Hobbingen und im ganzen Auenland über Jahr und Tag ein Gesprächsstoff, und in Erinnerung blieb es noch viel länger. Zuerst wurde daraus eine Gutenachtgeschichte für kleine Hobbits, und schließlich war der irre Beutlin, der immer mit Blitz und Donner verschwand und mit Säcken voll Gold und Edelsteinen wieder auftauchte, eine populäre Sagengestalt, die noch lange fortlebte, als die wirklichen Ereignisse schon vergessen waren.
Einstweilen aber ging die öffentliche Meinung in der Nachbarschaft dahin, dass Bilbo, der schon immer ein bisschen gesponnen habe, nun vollends durchgedreht und ins Blaue hinein davongerannt sei. Zweifelsohne war er irgendwo in einen Fluss oder Teich gefallen und hatte dort ein zwar tragisches, aber keineswegs unzeitiges Ende gefunden. Die Schuld suchten die meisten bei Gandalf.
»Wenn doch nur dieser verdammte Zauberer den jungen Frodo in Ruhe ließe – dann wird er vielleicht doch noch ein gestandener Hobbit und der gesunde Hobbitverstand siegt«, sagten sie. Und allem Anschein nach ließ der Zauberer Frodo tatsächlich in Ruhe, und dass Frodo inzwischen ein gestandener Hobbit war, konnte man kaum bezweifeln, aber vom Sieg des gesunden Hobbitverstandes war nicht viel zu bemerken. Dem von Bilbo ererbten Ruf der Kauzigkeit wurde er bald gerecht. Er dachte nicht daran, in Trauer zu gehen, und im Jahr darauf gab er ein Fest zu Bilbos hundertzwölftem Geburtstag, das er eine Langzentnerfeier nannte. Doch die Zahl der Gäste blieb weit hinter einem solchen Anspruch zurück, denn nur zwanzig waren geladen, für die es freilich bei mehreren Mahlzeiten Futter schneite und Schoppen regnete, wie man bei den Hobbits sagt.
Manche nahmen Anstoß, aber Frodo hielt daran fest, Jahr für Jahr Bilbos Geburtstag zu feiern, bis man sich schließlich daran gewöhnte. Er sagte, er glaube nicht, dass Bilbo tot sei. Auf die Frage: »Wo ist er dann?«, zuckte er die Achseln.
Wie Bilbo vor ihm, wohnte er für sich allein, hatte aber viele Freunde, besonders unter den jüngeren Hobbits (meist Nachkommen des Alten Tuk), die schon als Kinder sehr an Bilbo gehangen hatten und in Beutelsend aus und ein gegangen waren. Zu ihnen gehörten Folko Boffin und Fredegar Bolger; doch Frodos engsten Freunde waren Peregrin Tuk (gewöhnlich Pippin genannt) und Merry Brandybock (der in Wirklichkeit Meriadoc hieß, woran aber nur selten jemand dachte). Mit ihnen durchstreifte er das Auenland; öfter aber war er allein unterwegs, und zum Befremden vernünftiger Hobbits sah man ihn manchmal weit von zu Hause bei Sternenschein in den Hügeln und Wäldern herumlaufen. Merry und Pippin vermuteten, dass er dann und wann die Elben besuchte, wie es auch Bilbo getan hatte.
Mit der Zeit fiel den Leuten auf, dass auch Frodo sich »gut zu halten« schien: Sein Äußeres blieb das eines handfesten, energischen, eben erst den Zwiens entwachsenen Hobbits. »Manche Leute haben aber auch alles Glück der Welt!«, sagte man, aber erst als Frodo auf das doch schon reifere Alter der fünfzig zuging, begann man die Sache nicht
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