Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
geheuer zu finden.
Frodo selbst fühlte sich nach dem ersten Schrecken sehr wohl dabei, nun sein eigener Herr und der Herr Beutlin von Beutelsend zu sein. Einige Jahre lang war er ganz zufrieden und dachte nicht viel an die Zukunft. Doch stetig wuchs in ihm, fast ohne dass er es merkte, das Bedauern, dass er nicht mit Bilbo gegangen war. Bisweilen ertappte er sich dabei, besonders im Herbst, wie er an die wilden Lande dachte; und im Traum erschienen ihm seltsame Bildervon Bergen, die er nie gesehen hatte. Er begann sich zu sagen: »Vielleicht gehe ich auch noch eines Tages über den Fluss.« Worauf die andere Hälfte seines Charakters immer die gleiche Antwort gab: »Noch nicht!«
So ging es weiter, bis er hoch in die Vierziger kam und sein fünfzigster Geburtstag näherrückte. Die Fünfzig war eine Zahl, die er als irgendwie bedeutsam (oder schicksalsträchtig) empfand; jedenfalls war dies das Alter, in dem Bilbo plötzlich von der Abenteuerlust gepackt worden war. Allmählich fand Frodo keine Ruhe mehr, und seine gewohnten Wege erschienen ihm allzu ausgetreten. Er studierte Landkarten und fragte sich, was wohl jenseits ihrer Ränder läge: Auenländische Karten zeigten außerhalb der heimischen Grenzen meistens nur weiße Flächen. Er streifte immer weiter umher, und immer öfter allein; Merry und seine anderen Freunde beobachteten ihn mit Besorgnis. Oft ging und sprach er mit den fremden Fahrensleuten, die zu dieser Zeit im Auenland auftauchten.
Gerüchte von seltsamen Dingen drangen herein, die draußen in der weiten Welt geschahen; und weil Gandalf seit Jahren nicht gekommen war oder Nachricht geschickt hatte, versuchte Frodo selbst, so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen. Elben, die selten ins Auenland kamen, sah man jetzt abends westwärts durch die Wälder ziehen, immer nur in der einen Richtung: Sie verließen Mittelerde und kümmerten sich nicht mehr um seine Nöte. Doch auch Zwerge waren in ungewöhnlicher Zahl unterwegs. Die alte Ost-Weststraße führte durchs Auenland und endete bei den Grauen Anfurten, und die Zwerge hatten sie immer auf dem Weg zu ihren Minen in den Blauen Bergen benutzt. Sie waren die wichtigste Quelle, von der die Hobbits Neuigkeiten von fernen Ländern erfahren konnten – wenn sie denn wollten: In der Regel sagten die Zwerge wenig, und die Hobbits fragten noch weniger. Aber nun traf Frodo oft seltsame Zwerge aus fernen Ländern, die im Westen Zuflucht suchten. Sie waren niedergeschlagen, und manche sprachen im Flüsterton von dem Feind und dem Lande Mordor.
Dieser Name war den Hobbits nur aus Sagen einer dunklen Vergangenheit bekannt, wie ein Schatten im Hintergrund ihrer Erinnerungen; zugleich aber weckte er unruhige Vorahnungen. Es schien, als sei die böse Macht zwar vom Weißen Rat aus dem Düsterwald vertrieben worden, dafür aber nur um so stärker in den alten Festungen von Mordor neu erstanden. Der Dunkle Turm, hieß es, sei wieder aufgebaut worden. Von dort breitete die Macht sich weithin aus; im fernen Osten und Süden tobten Kriege, und Furcht griff um sich. Im Gebirge vermehrten sich wieder die Orks. Trolle waren unterwegs; nicht mehr nur schwachköpfige Raufbolde, sondern gerissene Burschen mit furchtbaren Waffen. Und manchen leisen Andeutungen war zu entnehmen, dass es noch andere Kreaturen gab, schrecklicher als all diese; doch hatten sie keinen Namen.
Wenig von alledem kam natürlich dem normalen Hobbit zu Ohren. Aber selbst dem schwerhörigsten Stubenhocker konnten mit der Zeit manche wilden Geschichten nicht unbekannt bleiben; und wen seine Geschäfte manchmal bis zu den Grenzen führten, der sah allerlei Befremdliches. Das Gespräch im Grünen Drachen zu Wasserau, an einem Abend im Frühling des Jahres, in dem Frodo fünfzig wurde, zeigte, dass man selbst hier, im behaglichen Herzen des Auenlandes, von den Gerüchten nicht verschont geblieben war, wenn auch die meisten Hobbits sie nicht ernst nahmen.
Sam Gamdschie saß in einer Ecke beim Feuer, ihm gegenüber Timm Sandigmann, der Müllerssohn. Einige andere Hobbits aus dem Dorf hörten ihrem Gespräch zu.
»Komische Sachen, was man heute so erzählt, kannst du mir glauben!«, sagte Sam.
»Ach was!«, sagte Timm. »Nur wenn du hinhörst. Aber Räuberpistolen und Ammenmärchen kann ich zu Hause hören, wenn ich das will.«
»Klar, kannst du«, sagte Sam, »und ich sage dir, an manchen ist mehr Wahres dran, als du denkst. Wer soll denn die Geschichten alle erfunden haben? Nimm zum Beispiel die über
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