Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
haben, meine ich?«
»Er fühlte sich gleich besser«, sagte Gandalf. »Aber es gibt nur eine Macht auf dieser Welt, die alles über die Ringe und ihre Wirkungen weiß; und soviel ich weiß, gibt es keine Macht auf der Welt, die alles über Hobbits weiß. Unter den Weisen bin ich der Einzige, der sich mit der Hobbitkunde befasst: ein abseitiges Fachgebiet, aber voller Überraschungen. Butterweich können sie sein, dann aber auch wieder zäh wie alte Baumwurzeln. Wahrscheinlich könnten manche von ihnen den Ringen viel länger widerstehen, als die meisten Weisen für möglich halten. Ich glaube, du brauchst dir um Bilbo keine Sorgen zu machen.
Gewiss, er hat den Ring viele Jahre lang in Besitz gehabt und ihn auch benutzt; daher könnte es lange dauern, bis sich der Einfluss erschöpft hat – und es für ihn zum Beispiel unbedenklich wäre, den Ring wieder zu Gesicht zu bekommen. Davon abgesehen, könnte er noch jahrelang ganz zufrieden weiterleben, einfach so bleiben, wie er war, als er sich von ihm trennte. Denn schließlich hat er ihn ausfreien Stücken hergegeben: ein wichtiger Umstand. Nein, um den guten Bilbo hatte ich keine Angst mehr, sobald er auf das Ding verzichtet hatte. Jetzt bist du es, für den ich mich verantwortlich fühle.
Die ganze Zeit, seit Bilbo fort ist, war ich in tiefer Sorge um dich und um all diese netten, albernen, hilflosen Hobbits. Es wäre ein harter Schlag für die ganze Welt, wenn der Dunkle Herrscher das Auenland unterwerfen und all diese lieben, ulkigen, dussligen Bolgers, Hornbläsers, Boffins, Straffgürtels und wie sie alle heißen, von den lächerlichen Beutlins ganz zu schweigen, versklaven würde.«
Frodo lief es kalt über den Rücken. »Aber warum sollte das so kommen?«, fragte er. »Und warum sollte er solche Sklaven haben wollen?«
»Um dir die Wahrheit zu sagen«, antwortete Gandalf, »ich glaube, dass ihm bisher – bisher, wohlgemerkt – die Existenz des Hobbitvölkchens vollkommen entgangen ist. Dafür solltet ihr dankbar sein. Aber mit eurer Sicherheit ist es vorbei. Er braucht euch nicht – er hat viele weit nützlichere Diener –, aber er wird euch nicht mehr vergessen. Und an jämmerlich versklavten Hobbits hätte er mehr Freude als an freien und fidelen. Es gibt so was wie Bosheit und Rache.«
»Rache?«, sagte Frodo. »Rache wofür? Ich verstehe noch immer nicht, was dies alles mit Bilbo, mit mir und unserem Ring zu tun hat.«
»Alles hat mit dem Ring zu tun«, sagte Gandalf. »Du kennst das volle Ausmaß der Gefahr noch nicht; aber du sollst es kennen lernen. Ich selbst war mir dessen noch nicht sicher, als ich zuletzt hier war; doch nun ist es an der Zeit, davon zu sprechen. Gib mir einen Augenblick den Ring!«
Frodo zog ihn aus der Hosentasche, wo er an einem am Gürtel befestigten Kettchen hing. Er machte ihn los und reichte ihn mit langsamer Bewegung dem Zauberer. Er wog plötzlich schwer in der Hand, als ob entweder er oder Frodo etwas dagegen hätten, dass Gandalf ihn berührte.
Gandalf hielt ihn hoch. Er schien aus purem, massivem Gold zu sein. »Kannst du irgendwelche Zeichen auf ihm erkennen?«, fragte er.
»Nein«, sagte Frodo. »Da sind keine. Er ist ganz glatt und weist nie einen Kratzer oder ein Zeichen von Abgegriffenheit auf.«
»Nun denn, sieh!« Und zu Frodos Erstaunen und Bestürzung warf der Zauberer den Ring mitten in die Glut des Kaminfeuers. Frodo schrie auf und griff nach der Feuerzange, aber Gandalf hielt ihn zurück.
»Warte!«, sagte er in gebieterischem Ton und sah Frodo unter seinen stacheligen Brauen hervor scharf an.
An dem Ring war keine Veränderung zu bemerken. Nach einer Weile stand Gandalf auf, schloss die Läden vor dem Fenster und zog die Vorhänge zu. Im Zimmer wurde es dunkel und still, obwohl aus dem Garten, nun näher beim Fenster, immer noch ein leises Klappern von Sams Grasschere zu hören war. Der Zauberer blieb einen Moment vor dem Kamin stehen und blickte ins Feuer; dann bückte er sich, holte den Ring mit der Zange heraus und nahm ihn sofort in die Hand. Frodo stockte der Atem.
»Er ist ganz kühl«, sagte Gandalf. »Nimm ihn!« Frodo ließ ihn sich auf die Handfläche legen und zuckte ein wenig zurück: Er schien dicker und schwerer denn je geworden zu sein.
»Halt ihn hoch!«, sagte Gandalf. »Und sieh ihn dir genau an!«
Frodo tat es, und nun sah er feine Linien, feiner als der feinste Federstrich, um den Ring laufen, außen und innen: glühende Linien, die Buchstaben einer verbundenen Schrift
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