Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
waren sie dort an der Arbeit, aber wir konnten nichts sehen. Die meiste Zeit über blieben wir allein. Es war ein trüber Tag. Wir liefen ein bisschen herum, hielten uns dabei aber so gut es ging außer Sicht der Fenster von Orthanc: Die starrten uns so drohend an. Einen Großteil der Zeit verbrachten wir mit der Suche nach etwas Essbarem. Und oft setzten wir uns auch hin und redeten darüber, was wohl im Süden in Rohan los war und was aus unseren Gefährten geworden sein könnte. Ab und zu hörten wir von weitem Gepolter von herabstürzenden Steinen und ein Hämmern und Pochen, das von den Bergen widerhallte.
Am Nachmittag gingen wir um den Ringwall, um zu sehen, was passierte. Ein großer, schattenhafter Wald von Huorns stand am oberen Ende des Tals und ein zweiter am Nordwall. Wir trauten uns nicht hinein. Aber von drinnen kamen Geräusche, wie wenn Sachen zerbrochen und zerrissen würden. Die Ents und Huorns hoben Gräben und tiefe Gruben aus; sie bauten Dämme und legten Teiche an, die alles Wasser des Isen und aller anderen Bäche und Quellen aufnahmen, die sie fanden. Sie waren noch an der Arbeit, als wir fortgingen.
Gegen Abend kam Baumbart wieder zum Tor. Er summte und brummte vor sich hin und schien sehr zufrieden zu sein. Er stand da, streckte seine langen Arme und Beine und holte tief Luft. Ich fragte ihn, ob er müde sei.
›Müde?‹, sagte er, ›müde? Nun, müde nicht, aber steif. Was mir fehlt, ist ein tüchtiger Schluck Enttrunk. Wir haben schwer gearbeitet, mehr Steine gebrochen und mehr Boden zernagt als in vielen langen Jahren zuvor. Aber nun sind wir beinah fertig. Wenn es Nacht wird, haltet euch nicht beim Tor oder in dem alten Tunnel auf! Es könnte Wasser durchkommen, und für eine Weile wird es unreines Wasser sein, bis Sarumans Dreck fortgespült ist. Dann kann der Isen wieder unbesudelt fließen.‹ Er fing an, noch ein Stück vomWall niederzureißen, ganz gemächlich und nur, weil es ihm Spaß machte.
Wir überlegten gerade, wo wir uns gefahrlos schlafen legen könnten, als das geschah, was wir am wenigsten erwartet hatten. Wir hörten einen Reiter schnell die Straße heraufkommen. Merry und ich lagen still, und Baumbart versteckte sich in den Schatten unter dem Torbogen. Ein großes, silbern schimmerndes Pferd kam herangeschossen. Es war schon dunkel, aber ich konnte das Gesicht des Reiters deutlich sehen; es schien zu leuchten, und alle seine Kleider waren weiß. Ich setzte mich auf und konnte nur noch glotzen, mit offenem Mund. Ich wollte rufen, konnte aber nicht.
Es war auch nicht nötig. Er hielt neben uns an und blickte zu uns herunter. ›Gandalf!‹, bekam ich endlich heraus, aber zu mehr als einem Flüstern reichte es nicht. Und er, denkt ihr, er hätte etwas gesagt wie: ›Hallo, Pippin! Nette Überraschung, du auch hier?‹ Von wegen! Gesagt hat er: ›Steh schon auf, du Trottel von einem Tuk! Wo bei allen blauen Wundern ist Baumbart? Schnell, ich muss ihn sprechen!‹
Baumbart hörte seine Stimme und kam gleich aus den Schatten hervor, und dann gab es eine seltsame Begrüßung. Mich überraschte, dass keiner von beiden im mindesten überrascht zu sein schien. Gandalf hatte offenbar erwartet, Baumbart hier vorzufinden; und Baumbart hatte vielleicht absichtlich so lange am Tor herumgetrödelt, weil er ihn erwartete. Dabei hatten wir dem alten Ent doch alles erzählt, was in Moria geschehen war. Aber später erinnerte ich mich, wie komisch er uns da angeguckt hatte. Ich kann nur vermuten, dass er Gandalf gesehen oder irgendeine Nachricht von ihm bekommen hatte, es aber voreilig fand, etwas davon zu sagen. ›Nicht so hastig!‹, ist seine Devise; aber was Gandalf gerade tut, wenn er nicht da ist, darüber kann niemand viel sagen, nicht mal die Elben.
›Hommm! Gandalf!‹, hat Baumbart gesagt. ›Bin ich froh, dass du da bist! Mit Wald und Wasser komm ich allein zurecht, und mit Stock und Stein auch; aber jetzt muss ich hier mit einem Zauberer fertig werden.‹
›Baumbart‹, hat Gandalf gesagt, ›du musst mir helfen! Du hast schon einiges geleistet, aber es genügt noch nicht. Ich muss mit ungefähr zehntausend Orks fertig werden.‹
Dann gingen die beiden fort und verhandelten weiter in irgendeinem stillen Winkel. Es muss Baumbart alles sehr hastig vorgekommen sein, denn Gandalf hatte es furchtbar eilig, und er redete schon mit Höchstgeschwindigkeit, bevor sie noch außer Hörweite waren. Sie blieben nur ein paar Minuten fort, vielleicht eine Viertelstunde, dann
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