Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
du, die sich damit wichtig machen, wie sie gegen den Feind kämpfen wollen, es nicht lassen können, sich einzumischen, wenn andere auf ihre Weise auch etwas tun. ER hätte seine Freude dran, wenn er dich jetzt sehn könnte. Würde glauben, da hätt er einen neuen Freund gewonnen.«
»Hab Geduld!«, sagte Faramir, doch ohne Zorn. »Lass erst deinen Herrn reden, er hat mehr Verstand als du! Und über unsere gefährliche Lage brauchst du mich nicht zu belehren. Trotzdem nehme ich mir ein wenig Zeit, um in einer schwierigen Frage ein gerechtes Urteil zu finden. Wäre ich damit so schnell fertig wie du, hätte ich euch wohl längst erschlagen. Denn ich habe Befehl, alle zu töten, die ich in diesem Land antreffe, es sei denn, sie hätten die Erlaubnis des Herrn von Gondor. Aber weder Mensch noch Tier töte ich, wenn es nicht nötig ist, und selbst dann tu ich’s nicht gern. Ebenso wenig führe ich müßige Reden. Nun setz dich zu deinem Herrn und sei still!«
Rot im Gesicht, ließ Sam sich zu Boden plumpsen. Faramir wandte sich wieder an Frodo. »Du hast gefragt, woher ich weiß, dass Denethors Sohn tot ist. Todesboten haben viele Flügel. Nacht bringt die Nachricht oft dem Nahverwandten, heißt es. Boromir war mein Bruder.«
Schmerz streifte wie ein Schatten über sein Gesicht. »Erinnerst du dich an irgendein merkwürdiges Stück, das Boromir bei seiner Rüstung mit sich trug?«
Frodo überlegte einen Moment; er befürchtete eine neue Fangfrage und war im Zweifel, wie diese Verhandlung wohl ausgehen würde. Er hatte den Ring kaum vor Boromirs anmaßendem Zugriff bewahren können; und was ihm nun unter so vielen starken und kriegerischen Männern bevorstünde, wusste er nicht. Doch hatte er zuinnerst das Gefühl, dass Faramir, so sehr er seinem Bruder ähnlich sah, ein weniger selbstgefälliger, zugleich strengerer und klügerer Mensch sei. »Ich erinnere mich, dass Boromir ein Horn bei sich trug«, sagte er schließlich.
»Du erinnerst dich richtig und hast ihn also wahrhaftig gesehen«, sagte Faramir. »Dann kannst du es vielleicht jetzt vor deinem inneren Auge sehen: ein großes Horn vom wilden Ochsen des Ostens, mit Silber eingefasst und mit alten Lettern beschriftet. Dieses Horn trägt seit vielen Generationen immer der älteste Sohn unseres Hauses; und es heißt, wenn es in der Not irgendwo in Gondor geblasen werde, in den Grenzen, in denen sich das Reich einst erstreckte, dann werde sein Ruf nicht ungehört bleiben.
Fünf Tage, bevor ich zu diesem Kriegszug aufbrach, heute vor elf Tagen also und etwa zur gleichen Stunde wie jetzt, hörte ich diesen Hornruf: von Norden, wie mir schien, doch war es undeutlich, nur wie ein innerer Widerhall. Für ein Unheilszeichen nahmen wir es, mein Vater und ich, denn nichts hatten wir von Boromir gehört, seit er fortritt, und kein Posten an unseren Grenzen hatte ihn wiederkehren gesehn. Und in der dritten Nacht darauf erlebte ich etwas noch Seltsameres.
Ich saß am Ufer des Anduin, in der grauen Dunkelheit unter dem blassen jungen Mond, und blickte aufs ewig dahinströmende Wasser hinaus, beim trübsinnigen Rascheln des Schilfes. So bewachen wir immer die Ufer bei Osgiliath, das die Feinde nun zum Teil besetzt halten und von wo sie in unsere Lande einfallen. Doch in dieser Nacht, um Mitternacht, schlief alle Welt. Da sah ich ein Boot auf dem Wasser treiben oder glaubte, es zu sehen, grau schimmernd, ein kleines Boot von fremder Bauart, mit hohem Bug, und kein Ruderer oder Steuermann saß darin.
Ein Schauer überkam mich, denn um das Boot war ein blasser Lichtschein. Aber ich stand auf, ging ans Ufer und watete in den Strom hinaus, denn etwas zog mich zu dem Boot hin. Es wandte den Bug zu mir her, verlangsamte seine Fahrt und trieb langsam an mir vorüber, zum Greifen nah, doch wagte ich nicht, es zu berühren. Es lag tief im Wasser, als sei es schwer beladen, und mir schien, als es unter meinen Augen vorbeischwamm, dass es fast vollgelaufen war mit klarem Wasser, von dem der Lichtschein ausging; und ins Wasser eingetaucht lag ein schlafender Krieger.
Ein zerbrochenes Schwert lag ihm auf den Knien. Ich sah viele Wunden an ihm. Es war Boromir, mein Bruder, tot. Ich erkannte seine Rüstung, sein Schwert, sein mir teures Gesicht. Nur eines vermisste ich: sein Horn. Und nur eines kannte ich nicht: einen schönen Gürtel, wie aus verflochtenen goldenen Blättern, den er um den Leib trug. Boromir! rief ich. Wo ist dein Horn? Wohin fährst du? O Boromir! Aber er war fort. Das
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