Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
Pökelfleisch, genug für viele Tage, und so viel Brot, wie sie nur essen konnten, bevor es hart wurde. Gollum aß nichts.
Die Sonne stieg höher und wanderte ungesehen über sie hinweg. Als sie zu sinken begann, wurde das Licht, das von Westen durch die Bäume schimmerte, golden; und immer gingen sie im kühlen grünen Schatten, und ringsum war Stille. Alle Vögel schienen davongeflogen oder verstummt zu sein.
Früh wurde es dunkel in den stillen Wäldern, und vor Einbruch der Nacht machten sie halt, müde, denn von Henneth Annûn waren sie über sieben Wegstunden weit gelaufen. Frodo legte sich ins tiefe Laub unter einem alten Baum und schlief die ganze Nacht durch. Sam, an seiner Seite, schlief nicht so ruhig; er wachte mehrere Male auf, aber nie war etwas von Gollum zu sehen, der davongehuscht war, sobald sie sich niedergelassen hatten. Ob er für sich in irgendeinem Loch in der Nähe geschlafen hatte oder die ganze Nacht herumgestreunt war, sagte er nicht; aber beim ersten Lichtschimmer war er wieder da und weckte seine Begleiter.
»Müsst aufstehen, jawohl, müsst ihr!«, sagte er. »Weg ist noch weit nach Südosten. Hobbits müssen sich beeilen!«
Der Tag verging ganz so wie der vorige, nur dass die Stille sich noch zu vertiefen schien; die Luft wurde drückend und stickig unter den Bäumen. Es war, als ob sich ein Gewitter zusammenbraute. Gollum blieb oft stehen und schnupperte; dann brabbelte er in sich hinein und trieb sie zur Eile an.
Während der dritten Etappe ihres Tagesmarschs, als der Nachmittag schon zu Ende ging, lichtete sich der Wald; die Bäume wurden höher und standen weiter auseinander. Große Stechpalmen mit dicken Stämmen ragten finster und feierlich aus weiten Lichtungen auf, hier und da auch altersgraue Eschen und riesige Eichen, die eben ihre braungrünen Knospen ausstreckten. Ringsum breiteten sich grüne Wiesen aus, gesprenkelt mit Schöllkraut und weißen und blauen Anemonen, die ihre Blüten nun zum Schlafen eingerollt hatten; und ganze Felder standen voll mit Blättern von Waldhyazinthen: Ihre schlanken Glockenstengel stießen schon durch das Erdreich. Nichts, das kreucht und fleucht, war zu sehen, aber auf diesen freien Flächen wurde Gollum ängstlich, und sie huschten nun bedachtsam von einem langen Schatten zum nächsten.
Das Licht schwand schon rasch, als sie den Waldrand erreichten. Dort setzten sie sich unter eine knorrige alte Eiche, deren Wurzeln wie Schlangen einen steilen, bröckelnden Hang hinabkrochen. Vor ihnen lag ein tiefes, düsteres Tal. Auf der gegenüberliegenden Seite schloss der Wald sich wieder und zog sich, blaugrau unter dem stumpfen Abendhimmel, nach Süden hin. Rechts, weit im Westen, glühten die Berge von Gondor unter einem feuergefleckten Himmel. Links, unter den hochgetürmten Wällen von Mordor, herrschte Dunkelheit, und aus der Dunkelheit kam das langgestreckte Tal, dessen Sohle, sich stetig verbreiternd, steil zum Anduin abfiel. Auf dem Talgrund floss ein eiliger Bach: Frodo hörte sein steinernes Murmeln durch die Stille heraufdringen; und neben ihm, auf dem diesseitigen Ufer, wand sich eine Straße wie ein blasses Band in die kalten grauen Nebel hinunter, die kein Strahl der untergehenden Sonne mehr erreichte. Weit in der Ferne dort, wie auf einem Schattenmeer schwimmend, glaubte Frodo die trüben Umrisse hoher verfallener Bauten und abgebrochener Turmzinnen zu erkennen.
»Weißt du, wo wir sind?«, fragte er Gollum.
»Ja, Herr, gefährliche Gegend. Das ist die Straße, Herr, die vom Turm des Mondes zur Trümmerstadt am Flussufer führt. Die Trümmerstadt, jawohl, sehr böser Ort, voller Feinde. Hätten dem Rat der Menschen nicht folgen sollen. Hobbits sind weit vom Weg abgekommen. Müssen jetzt nach Osten gehn, da hinauf.« Er schwenkteden dünnen Arm zu den umdämmerten Bergen hin. »Und auf der Straße können wir nicht gehen, o nein! Grausames Volk kommt da entlang, vom Turm herunter.«
Frodo blickte auf die Straße hinab. Jetzt zumindest bewegte sich nichts darauf. Verödet schien sie zu den leeren Ruinen im Nebel hinzuführen. Aber etwas Beunruhigendes lag in der Luft, als herrschte dort tatsächlich ein reges Kommen und Gehen, das ihre Augen nur nicht sehen konnten. Frodo schauderte es, als er noch einmal zu den fernen Zinnen hinsah, die nun in der Nacht verschwammen, und das Geräusch des Wassers klang kalt und tödlich: die Stimme des Morgulduin, des vergifteten Bachs, der vom Tal der Geister herabfloss.
»Was machen wir nun?«,
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