Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
nicht in kopflose Flucht übergeht. Vielleicht kann er seine Mannen lange genug beisammenhalten, aber ich bezweifle es. Der Feind, dem er gegenübersteht, ist zu groß für ihn. Denn einer ist gekommen, den ich hier zu treffen befürchtete.«
»Doch nicht – der Dunkle Herrscher?«, rief Pippin, der vor Schreck vergaß, was sich hier für ihn gehörte.
Denethor lachte bitterlich. »Nein, der noch nicht, Herr Peregrin! Der kommt erst, wenn alles entschieden ist, um seinen Triumph über mich auszukosten. Für sich kämpfen lässt er andere. So machen’s alle Großen, wenn sie gescheit sind, Herr Halbling. Warum säße ich sonst hier in meinem Turm und grüble, beobachte, warte ab und lasse sogar meine Söhne sich aufreiben? Denn noch kann ich die Klinge führen.«
Er stand auf und schlug sein langes schwarzes Gewand auseinander, und siehe da, er trug darunter ein Kettenhemd und am Gürtelein langes Schwert mit großem Heft und in einer schwarzsilbernen Scheide. »So geh und steh ich«, sagte er, »und seit vielen Jahren schlaf ich auch so, damit der Körper mit zunehmendem Alter nicht schlaff und feig wird.«
»Doch der furchtbarste von allen Feldherrn des Herrschers von Barad-dûr hat sich nun schon Eurer Außenmauern bemächtigt«, sagte Gandalf. »König von Angmar war er einst, ein Hexenmeister, Ringgeist, Oberster der Nazgûl, ein Speer des Schreckens in Saurons Hand, ein Schatten der Verzweiflung.«
»Dann hattest du ja einen ebenbürtigen Gegner, Mithrandir«, sagte Denethor. »Meinerseits weiß ich längst, wer als oberster Feldherr die Heere des Dunklen Turms befehligt. Ist das alles, was du mir sagen wolltest, und bist du deshalb zurückgekommen? Oder kann es sein, dass du dich zurückgezogen hast, weil er stärker ist als du?«
Pippin bebte, weil er befürchtete, Gandalf könnte sich zu einem Wutanfall hinreißen lassen, aber seine Sorge war unnötig. »Das könnte sein«, antwortete Gandalf ruhig, »aber zur Kraftprobe zwischen uns ist es noch nicht gekommen. Und wenn die alten Sprüche stimmen, dann wird er nicht von eines Mannes Hand fallen, und welches Schicksal ihn erwartet, ist den Weisen verborgen. Doch wie dem auch sei, der Feldherr der Verzweiflung drängt sich noch nicht nach vorn. Sondern ganz nach der Weisheit der Großen, von der Ihr eben gesprochen habt, befehligt er von hinten heraus und treibt seine Knechte rasend vor sich her.
Doch nein, gekommen bin ich, um die Verwundeten zu schützen, die noch geheilt werden können. Die Rammas ist weit und breit durchbrochen, und bald wird das Morgul-Heer an vielen Stellen eindringen. Und ich bin vor allem gekommen, um Euch dies zu sagen. Bald werden wir eine Schlacht auf den Feldern haben. Ein Ausfall muss vorbereitet werden. Schickt die Berittenen aus! Auf sie können wir für kurze Zeit etwas Hoffnung setzen, denn in dieser einen Hinsicht ist der Feind schlecht gerüstet: Er hat wenig Reiter.«
»Und wir haben auch nicht viele. Jetzt käme Rohan im rechten Augenblick«, sagte Denethor.
»Vorher werden wir wohl noch andere Ankömmlinge sehen«, sagte Gandalf. »Flüchtlinge aus Cair Andros sind eingetroffen. Die Insel ist gefallen. Ein zweites Heer ist vom Schwarzen Tor gekommen und setzt im Nordosten über den Fluss.«
»Manche haben dich schon bezichtigt, Mithrandir, ein schadenfroher Überbringer schlechter Nachrichten zu sein«, sagte Denethor, »doch was du sagst, ist mir nicht neu; ich weiß es seit gestern Abend. Und auch an den Ausfall hatte ich schon gedacht. Gehn wir hinunter!«
Die Zeit verging. Schließlich sahen die Zuschauer auf den Mauern den Rückzug der Kompanien von den Außenbefestigungen. Zuerst kamen kleine Gruppen erschöpfter und oft auch verwundeter Männer in aufgelöster Ordnung, manche aus Leibeskräften rennend, als würden sie verfolgt. Weiter ostwärts in einiger Entfernung flackerten Feuer; und nun schienen sie hier und da über die Ebene zu kriechen. Häuser und Scheunen brannten. Dann sah man von vielen Stellen kleine rote Flammenbäche ausgehen, die sich eilig durch die Dunkelheit schlängelten und alle auf die breite Straße zustrebten, die vom Stadttor nach Osgiliath führte.
»Der Feind«, murmelten die Beobachter. »Der Damm ist gefallen. Und da kommen sie jetzt durch die Breschen geströmt. Anscheinend haben sie Fackeln. Wo sind nur die Unsrigen?«
Der Stunde nach rückte nun der Abend heran, und das Licht war so schwach, dass selbst die Weitsichtigen auf der Zitadelle kaum mehr etwas auf den
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