Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
Gewahrsam geben können: Das hätte mir selbst und anderen viel Leid erspart. Und so, wie ich Euch jetzt reden höre, traue ich Euch noch weniger, ebenso wenig wie Boromir. Halt, bezähmt Euren Zorn: In dieser Sache trau ich mir selbst nicht. Ich habe das Ding nicht geschenkt nehmen wollen, als man es mir freiwillig gegeben hätte. Ihr seid stark, Denethor, und in manchen Dingen noch fähig, Euch zu beherrschen; doch dieses Ding, hättet Ihr es bekommen, hätte Euch überwältigt. Und läge es unter den Grundfesten des Mindolluin vergraben, es hätte dennoch Euren Geist aufgezehrt, während dasDunkel wächst und noch Schlimmeres mit sich bringt, wie es uns nun bald bevorsteht.«
Für einen Moment glühten Denethors Augen wieder, als er Gandalf ins Gesicht sah, und Pippin spürte von neuem, wie sich Wille gegen Wille stemmte; doch nun kamen ihm ihre Blicke fast wie gekreuzte Klingen vor, die von Auge zu Auge zuckten. Er zitterte in der Erwartung eines vernichtenden Schlags. Aber mit einem Mal ließ Denethor locker und war wieder ganz ruhig. Er zuckte die Achseln.
»Hätte ich, hättest du!«, sagte er. »Alles Was-wäre-wenn ist müßig. Das Ding ist nun im Dunklen Land, und erst die Zeit wird lehren, welches Schicksal es erwartet und uns erwartet. Lang wird die Zeit nicht sein. In der, die noch bleibt, sollten alle einig sein, die auf ihre Weise den Feind bekämpfen, und die Hoffnung bewahren, so lange es geht, oder, wenn es nicht mehr geht, den Mut, in Freiheit zu sterben.« Er wandte sich an Faramir. »Was hältst du von den Befestigungen in Osgiliath?«
»Sie sind zu schwach besetzt«, sagte Faramir. »Wie schon gesagt, ich habe den Trupp aus Ithilien zur Verstärkung hingeschickt.«
»Nicht genug, meine ich«, sagte Denethor. »Der erste Schlag wird dort geführt werden. Sie werden einen wackeren Hauptmann brauchen.«
»Dort wie anderswo und an vielen Stellen«, sagte Faramir und seufzte. »Wenn doch mein Bruder noch da wäre! Auch ich habe ihn geliebt.« Er stand auf. »Darf ich nun gehen, Vater?« Er taumelte und stützte sich auf den Stuhl seines Vaters.
»Du bist müde, wie ich sehe«, sagte Denethor. »Du bist weit und scharf geritten, verfolgt von bösen Schatten in der Luft, hab ich gehört.«
»Sprechen wir nicht davon!«, sagte Faramir.
»Dann nicht«, sagte Denethor. »Geh nun und ruh dich aus, so gut es geht. Der morgige Tag wird härter.«
Alle nahmen nun Abschied von Denethor und gingen zur Ruhe, solange dazu noch Zeit war. Draußen herrschte eine sternlose Stockfinsternis, als Gandalf und Pippin, der eine kleine Fackel trug, zu ihrer Herberge gingen. Sie sprachen erst wieder, als sie hinter verschlossenen Türen waren. Dann nahm Pippin Gandalfs Hand.
»Sag mir, gibt es noch Hoffnung?«, sagte er. »Für Frodo, meine ich, oder jedenfalls hauptsächlich für Frodo.«
Gandalf legte Pippin die Hand auf den Kopf. »Viel Hoffnung gab es nie«, antwortete er. »Nur eine närrische Hoffnung, wie uns eben gesagt wurde. Und als ich von Cirith Ungol hörte …« Er unterbrach sich und trat ans Fenster, als könnte er mit den Augen die Nacht im Osten durchdringen. »Cirith Ungol!«, murmelte er. »Warum nur dahin, möcht ich wissen?« Er drehte sich wieder um. »Mir ist fast das Herz stehengeblieben, Pippin, als ich den Namen hörte. Und doch, eigentlich, glaube ich, birgt Faramirs Nachricht ein wenig Hoffnung. Denn nun scheint klar zu sein, dass unser Feind endlich den Krieg eröffnet und den ersten Zug getan hat, während Frodo noch in Freiheit war. Also wird er jetzt über viele Tage sein Augenmerk hierhin und dorthin lenken, aber nicht auf sein eigenes Land. Und doch, Pippin, spüre ich von fern, dass er in Angst und Eile handelt. Er hat früher losgeschlagen, als er vorhatte. Irgendwas muss geschehen sein, das ihn nervös macht.«
Einen Augenblick stand er in Gedanken versunken. »Vielleicht«, brummte er, »vielleicht hat sogar deine Dummheit etwas genützt, mein Junge. Lass mich überlegen: Heute vor fünf Tagen muss er erkannt haben, dass wir Saruman niedergeworfen und den Stein an uns genommen haben. Aber was kann ihm das ausmachen? Wir könnten nicht viel damit anfangen, jedenfalls nicht, ohne dass er es wüsste. Ah! Das möcht ich wissen! Aragorn? Seine Zeit bricht an. Er ist von Grund auf stark und standfest, Pippin, mutig, entschlossen, eigenwillig und bereit, viel aufs Spiel zu setzen, wenn es sein muss. Das könnte der Grund sein. Vielleicht hat er den Stein benutzt und sich dem Feind
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