Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
könnten von hier bis zum Dîn laufen von Sonnenaufgang bis Mittag.«
»Dann müssen wir für die Führer mindestens mit sieben Stunden rechnen«, sagte Éomer, »für das ganze Heer aber eher mit zehn Stunden. Unvorhergesehenes kann uns aufhalten, und wenn das Heer weit auseinandergezogen aus den Bergen herauskommt, kann es eine Weile dauern, bis es in Schlachtordnung ist. Welche Stunde ist jetzt?«
»Wer soll das wissen?«, sagte Théoden. »Jetzt ist immer Nacht.«
»Ist immer dunkel, aber ist nicht immer Nacht«, sagte Ghân. »Wenn Sonne kommt, wir fühlen sie, auch wenn verborgen. Schon steigt sie übers Ostgebirge. Tag beginnt in den Himmelsfeldern.«
»Dann müssen wir so bald wie möglich aufbrechen«, sagte Éomer. »Trotzdem können wir nicht hoffen, Gondor heute noch zu Hilfe zu kommen.«
Merry wartete nicht ab, was sie noch sagen mochten, sondern huschte davon, um sich marschfertig zu machen. Dies war nun wohl die letzte Etappe vor der Schlacht. Es kam ihm nicht sehr wahrscheinlich vor, dass viele sie überleben würden. Aber er dachte an Pippin und das brennende Minas Tirith und schob die eigene Furcht beiseite.
Alles ging gut an diesem Tag, und von den Feinden, die ihnen auflauerten, bekamen sie nichts zu hören oder zu sehen. Die Wilden schirmten sie durch erfahrene Jäger ab, damit kein herumstreifender Ork oder Späher von den Bewegungen in den Bergen etwas bemerken konnte. Das Licht war trüber denn je, als sie sich der belagertenStadt näherten, und die Männer zogen in langen Reihen dahin, wie Schatten von Menschen und Pferden. Jede Schwadron wurde von einem Waldmenschen geführt; der alte Ghân-buri-Ghân aber lief neben dem König her. Zu Anfang waren sie langsamer als erhofft vorangekommen, denn über die dichtbewaldeten Hügelkämme hinter ihrem Lager und dann hinab ins versteckt liegende Steinkarrental hatten die Reiter ihre Pferde am Zügel führen müssen. Es war spät am Nachmittag, als die Spitze des Zuges zu dem breiten Streifen grauen Buschwalds kam, der sich über den Osthang des Amon Dîn hinaus erstreckte und eine breite Lücke in der Hügelkette verhüllte, die sich vom Nardol im Westen bis zum Dîn im Osten hinzog. Durch diese Lücke hatte die alte Wagenstraße wieder auf die Hauptstraße geführt, die Reiterstraße, auf der man von der Stadt durch Anórien nach Westen gelangte; doch nun hatte seit vielen Menschenaltern der Wald wieder von ihr Besitz ergriffen, und sie war verfallen und unter den Laubschichten ungezählter Jahre begraben. Der Wald aber bot den Reitern die letzte Hoffnung auf Deckung, bevor sie offen ins Feld zogen, denn dahinter lagen die Straße und die Ebene des Anduin; doch nach Südosten zu waren die Hänge kahl und felsig, wo sich das Land buckelte und Stufe für Stufe zu dem hohen Massiv und den Schultern des Mindolluin hin anstieg.
Der vorderste Trupp hielt an, und als die Nachfolgenden in langer Reihe aus der Talenge herauskamen, verteilten sie sich auf Lagerplätze unter den grauen Bäumen. Der König rief die Hauptleute zur Beratung. Éomer schickte Kundschafter aus, die die Straße beobachten sollten, aber der alte Ghân schüttelte den Kopf.
»Nicht gut, Pferdemänner zu schicken«, sagte er. »Waldmänner haben schon alles gesehen, was zu sehen ist in der trüben Luft. Werden bald kommen und hier mit mir sprechen.«
Die Hauptleute kamen; und dann krochen gut getarnte andere Púkel-Gestalten zwischen den Bäumen hervor. Sie sahen dem alten Ghân so ähnlich, dass Merry sie kaum auseinanderhalten konnte. Mit Ghân redeten sie in einer fremden, kehligen Sprache.
Dann berichtete Ghân dem König. »Waldmenschen sagen vieles«, sagte er. »Vor allem, seid vorsichtig! Noch viele Menschen im Lager hinterm Dîn, eine Stunde zu Fuß nach dort«, und er deutete nach Westen zu dem schwarzen Leuchtfeuerberg. »Aber niemand zu sehen von hier bis zur neuen Mauer des Steinvolks. Dort viele an der Arbeit. Mauern stehen nicht mehr: Gorgûn werfen sie nieder mit Erddonner und Keulen von schwarzem Eisen. Sie fühlen sich sicher und sehen nicht um sich. Denken, ihre Freunde bewachen alle Straßen!« Der alte Ghân machte ein sonderbar gurgelndes Geräusch; anscheinend war das seine Art zu lachen.
»Gute Nachrichten!«, rief Éomer. »Mitten in dieser Finsternis wieder ein Fünkchen Hoffnung. Oft gereichen die Tücken des Feindes uns zum Vorteil. Sogar die verfluchte Dunkelheit hat uns als Tarnkappe gedient. Und jetzt, wo seine Orks darauf brennen, in Gondor
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