Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
Alter. Merry selbst fühlte sich wie unter einem Berg von Befürchtungen und Zweifeln. Sein Herz schlug nur langsam. Die Zeit schien stillzustehen vor Ungewissheit. Sie kamen zu spät. Zu spät war schlimmer als niemals. WürdeThéoden verzagen, den alten Kopf sinken lassen, abwinken und sich davonmachen zu einem Versteck in den Bergen?
Endlich spürte es Merry ohne jeden Zweifel: ein Wetterwechsel. Wind wehte ihm ins Gesicht. Licht schimmerte. Weit, weit im Süden sah man undeutlich etwas wie Wolken, die sich verschoben, graue, treibende, heranwogende Formen: Hinter ihnen lag der Morgen.
Doch im gleichen Moment leuchtete die Stadt grell auf, als wäre ein Blitz aus dem Boden unter ihr emporgefahren. Eine gleißende Sekunde lang stand sie in der Ferne vor ihnen, schwarzweiß in blendendem Licht, der höchste Turm wie eine glitzernde Nadel; dann, als das Dunkel sich wieder um sie schloss, drang ein lautes, dröhnendes Krachen über die Felder.
Bei diesem Ton streckte der König plötzlich wieder den krummen Rücken durch und schien zu wachsen. Hoch richtete er sich in den Steigbügeln auf und rief mit lauter Stimme, so deutlich wie ein Sterblicher nur rufen kann:
Voran, voran, Reiter Théodens,
Zu blutigem Tagwerk, in Tod und Brand!
Speer splittre, Schild berste!
Den Sand rötet, eh die Sonne aufgeht!
Reitet, reitet, reitet gen Gondor!
Dann nahm er seinem Bannerträger Guthláf ein großes Horn ab und stieß so gewaltig hinein, dass es barst. Und sogleich vereinten sich alle Hörner des Heeres zu einer grimmigen Musik; und wie Sturmesbrausen schallten in dieser Stunde die Hörner von Rohan über die Ebene und hallten wie Donner von den Bergen wider.
Reitet, reitet, reitet gen Gondor!
Der König rief seinem Pferd etwas ins Ohr, und Schneemähne stürmte los. Hinter ihm wehte sein Banner im Wind, das weiße Pferd im grünen Feld, aber mit dem König konnte es nicht Schritt halten. Die Ritter seines Hauses preschten ihm nach, doch er blieb allen voraus. Éomer ritt dort, den weißen Pferdeschweif flatternd am Helm, und die vorderste Reihe der ersten Éored brauste dahin wie eine Sturzwelle, die schäumend zum Ufer eilt, aber niemand konnte Théoden einholen. Wie von Sinnen schien er, oder die Kampfeswut seiner Väter glühte wieder in seinen Adern, und Schneemähne trug ihn dahin wie einen Kriegsgott der Vorzeit, wie den großen Orome in der Schlacht der Valar, als die Welt jung war. Sein goldener Schild wurde entblößt, und siehe da, er leuchtete wie ein kleines Abbild der Sonne, und das Gras blitzte grün auf unter den weißen Hufen seines Pferdes. Denn der Morgen kam, der Morgen und ein Wind vom Meer; und das Dunkel wurde gelichtet, Mordors Soldaten fuhr der Schreck in die Glieder, und sie fluchten und flüchteten und fielen unter den Hufen des Zorns. Und dann brach das ganze Heer der Rohirrim in Gesang aus, und singend erschlugen sie ihre Feinde, denn nun war der Kampf eine reine Freude, und schön und schrecklich schallte ihr Lied bis in die Stadt hinüber.
SECHSTES KAPITEL
DIE SCHLACHT AUF DEM PELENNOR
A ber kein Orkhäuptling oder Straßenräuber befehligte den Angriff auf Gondor. Das Dunkel wich zu früh, vor der von seinem Gebieter bestimmten Zeit: Für den Augenblick war er vom Glück verlassen, und alles schien sich gegen ihn verschworen zu haben; der Sieg entglitt ihm, als er schon die Hand danach ausstreckte. Aber sein Arm war lang. Noch immer hatte er den Oberbefehl, mit großen Machtvollkommenheiten. König war er, Ringgeist, Fürst der Nazgûl, und es fehlte ihm nicht an Waffen. Fürs Erste verschwand er vom Stadttor.
Théoden, König der Mark, war bis zu der Straße vorgedrungen, die vom Tor zum Fluss führte, und wandte sich nun zur Stadt hin, die keine Meile mehr entfernt war. Er verlangsamte seinen Ritt ein wenig, hielt nach neuen Feinden Ausschau, und seine Ritter schlossen zu ihm auf, Dernhelm unter ihnen. Vor ihnen, näher an den Mauern, wüteten Elfhelms Männer zwischen den Belagerungsmaschinen, metzelten die Feinde nieder oder jagten sie in die Feuergräben. Fast die ganze Nordhälfte des Pelennor hatten die Rohirrim überrannt, die Feldlager brannten, Orks flohen wie die Hasen zum Fluss hin, und die Reiter wandten sich nach Belieben hier- oder dorthin. Aber die Einschließung der Stadt war noch nicht durchbrochen, das Stadttor nicht erreicht. Viele Feinde standen davor, und die Truppen auf der anderen Hälfte der Ebene hatten noch gar nicht in den Kampf eingegriffen. Südlich
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