Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
herangezogen worden. Soviel wir sehen konnten, sind an der Außenmauer nur noch wenige, und die sind voll mit dem Einreißen beschäftigt und kümmern sich um nichts sonst.«
»Wisst Ihr noch, was der Wilde gesagt hat, Gebieter?«, sagte ein anderer. »Ich lebe in Friedenszeiten im offenen Hügelland; Wídfara ist mein Name, und auch mir trägt die Luft Nachrichten zu. Tatsächlich dreht der Wind. Ein Hauch kommt von Süden her, mit etwas Seetang darin, wenn auch noch schwach. Der Morgen bringt Neues. Über den Dunstwolken wird der Tag heraufdämmern, wenn Ihr über die Mauer kommt.«
»Wenn du wahr sprichst, Wídfara, dann mögest du nach diesem Tag noch viele gesegnete Jahre erleben!«, sagte Théoden. Dann wandte er sich an sein Gefolge, aber nun mit so deutlicher Stimme, dass auch viele Reiter in der ersten Éored ihn hörten:
»Die Stunde ist da, Reiter der Mark, Söhne Eorls! Vor euch sind Feinde und Feuer, weit hinter euch die Heimat. Doch, fechtet ihr auch auf fremdem Felde, der Ruhm, den ihr dort erringt, ist euer für immer. Eide habt ihr geschworen; nun leistet, was ihr gelobt habt: eurem Herrn, eurem Lande, und Beistand den Bundesgenossen!«
Die Männer schlugen mit den Speeren an die Schilde.
»Éomer, mein Sohn, du führst die erste Éored «, sagte Théoden, »und sie reitet hinter dem Banner des Königs in der Mitte. Elfhelm, du nimmst mit deiner Schwadron die rechte Seite, wenn wir über die Mauer sind; Grimbold geht mit der seinen nach links. Die andern Schwadronen folgen diesen dreien, so gut sie können. Schlagt den Feind, wo immer er sich sammelt! Andere Pläne können wir nicht machen, denn noch wissen wir nicht, wie’s auf dem Felde steht. Vorwärts nun, und keine Furcht vor dem Dunkel!«
Der Trupp an der Spitze setzte sich in Bewegung und ritt so schnell er konnte. Was immer Wídfara vorausgesehen haben mochte, bis jetzt war es noch dunkel. Merry, hinter Dernhelm im Sattel, hielt sich mit der linken Hand fest, während er mit der anderen sein Schwert in der Scheide zu lockern versuchte. Er merkte nun, dass es die bittere Wahrheit war, was der alte König zu ihm gesagt hatte: Was wolltest du tun in einer solchen Schlacht, Meriadoc? »Weiter nichts«, dachte er, »als einen Reiter behindern und bestenfalls hoffen, mich im Sattel zu halten und nicht von galoppierenden Pferden zerstampft zu werden.«
Es war nur eine Wegstunde bis dahin, wo die Außenmauer gestanden hatte. Bald waren sie dort, schneller, als Merry lieb war. Wildes Geschrei brach los, und es gab einiges Waffengeklirr, aber nicht lange. Die wenigen Orks, die sich an der Mauer zu schaffen machten, waren verblüfft und wurden rasch totgeschlagen oder verjagt. Vor den Trümmern des Nordtors in der Rammas hielt der König wieder. Die erste Éored schloss hinter ihm und zu beiden Seiten auf. Dernhelm hielt sich dicht zum König, obwohl Elfhelms Schwadron weiter rechts stand. Grimbolds Männer wandten sich zur andern Seite und passierten die Mauer bei einer großen Bresche etwas weiter östlich.
Merry spähte hinter Dernhelms Rücken vor. Weit voraus, mindestens zehn Meilen entfernt, wütete ein großer Brand, aber zwischen ihm und den Reitern glühten feurige Linien in einem weiten Halbkreis, an der nächsten Stelle keine drei Meilen vor ihnen. Sonst konnte er auf der dunklen Ebene nicht viel erkennen, und bis jetzt sah er keine Hoffnung, dass es Morgen werden könnte, und spürte auch nichts von einem Wind, mochte er nun gedreht haben oder nicht.
Leise strömte nun das Heer von Rohan in Gondors Felder hinüber, langsam, aber stetig, wie die steigende Flut durch Bruchstellen in einem Deich dringt, den die Menschen für sicher gehalten haben. Aber alles Denken und Trachten des Schwarzen Feldherrn war nur auf die Eroberung der Stadt gerichtet, und bis jetzt war noch keine Nachricht zu ihm gelangt, die ihn darauf hinwies, dass er in seinem Schlachtplan etwas übersehen hatte.
Nach einer Weile führte der König sein Heer ein Stück weit nach Osten, um zwischen die Belagerungsfeuer und die äußeren Feuer zu gelangen. Noch immer wurden sie nicht angegriffen, und noch immer gab Théoden kein Signal. Endlich hielt er noch einmal. Sie waren der Stadt nun näher. Ein Brandgeruch lag in der Luft, und finster war es wie der Tod. Die Pferde waren unruhig. Der König aber saß regungslos auf Schneemähne und blickte zu der gequälten Stadt hin, wie plötzlich von Furcht oder Unentschlossenheit befallen. Er schien zu schrumpfen, geduckt vom
Weitere Kostenlose Bücher