Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
in der Vorhalle, auf der obersten Treppenstufe, stand Beregond in seiner schwarzsilbernen Tracht und verwehrte ihnen die Tür. Zwei waren seinem Schwert schon erlegen und befleckten die geweihte Stätte mit ihrem Blut; die anderen verwünschten ihn und nannten ihn einen Verbrecher und Verräter an seinem Herrn.
Als Gandalf und Pippin hinzurannten, hörten sie aus dem Innern des Totenhauses Denethor rufen: »Nur zu, beeilt euch! Erschlagt mir diesen Abtrünnigen! Oder muss ich es selber tun?« Gleich darauf wurde die Tür, die Beregond mit der linken Hand zuhielt, aufgerissen, und dahinter stand der Statthalter, hoch aufgerichtet und wutentbrannt, glühenden Auges, in der Hand das blanke Schwert.
Aber Gandalf sprang die Treppe hinauf, und die Männer schraken vor ihm zurück und hielten sich die Hände vor die Augen, denn sein Kommen war, wie wenn blendend weißes Licht in eine dunkle Höhle fällt, und er trug einen gewaltigen Zorn in sich. Er hob die Hand, und mitten im Schlag flog Denethors Schwert in die Luft und fiel hinter ihm ins Dunkel des Hauses; und Denethor wich erstaunt vor Gandalf zurück.
»Was soll dies, mein Herr?«, sagte der Zauberer. »Die Häuser der Toten sind kein Aufenthalt für die Lebenden. Und warum kämpften Männer hier am geweihten Ort statt vor dem Tor, wo es genug zu tun gäbe? Oder ist unser Feind schon bis in die Rath Dínen vorgedrungen?«
»Seit wann ist der Herr von Gondor dir Rechenschaft schuldig?«, sagte Denethor. »Oder darf ich meinen eigenen Dienern nicht mehr befehlen?«
»Das dürft Ihr«, sagte Gandalf. »Aber andere müssen Euch nicht gehorchen, wenn Ihr Böses und Irres befehlt. Wo ist Euer Sohn Faramir?«
»Drinnen liegt er«, sagte Denethor, »und brennt, er brennt schon. Sie haben sein Fleisch in Brand gesteckt. Bald geht alles in Flammen auf. Der Westen ist am Ende. Alles wird in einem großen Brand auflodern, und dann ist alles aus. Asche! Asche und Rauch, die der Wind verweht.«
Gandalf sah, dass der Statthalter wahnsinnig geworden war, und befürchtete, dass die furchtbare Tat schon vollzogen sei; darum drängte er vorwärts, gefolgt von Beregond und Pippin, während Denethor zurückwich, bis er drinnen neben dem Tisch stand, auf dem Faramir lag, immer noch in Fieberträumen. Darunter undringsum bis über den Rand des Tisches war Holz aufgeschichtet, und alles, auch Faramirs Kleider und die Decken, war mit Öl durchtränkt; doch war noch kein Feuer gelegt worden. Nun enthüllte Gandalf, welche Stärke ihm innewohnte, auch wenn das Licht seiner Macht noch unter dem grauen Mantel verborgen war. Er sprang auf den Scheiterhaufen, hob den Kranken mühelos auf, sprang wieder herunter und trug ihn zur Tür hin. Faramir aber stöhnte in seinem Traum und rief nach seinem Vater.
Denethor fuhr zusammen, als erwachte er aus einer Betäubung, und die Glut in seinen Augen erlosch. Weinend sagte er: »Nimm mir nicht meinen Sohn weg! Er ruft mich.«
»Er ruft Euch«, sagte Gandalf, »aber Ihr könnt noch nicht zu ihm kommen. Denn er steht auf der Schwelle des Todes und muss Heilung suchen – vielleicht, ohne sie zu finden. Ihr dagegen solltet hinausgehn in die Schlacht vor Eurer Stadt, wo vielleicht der Tod Euch erwartet. Das sagt Euch Euer Herz.«
»Er wird nicht wieder aufwachen«, sagte Denethor. »Die Schlacht ist vergebens. Warum sollten wir noch leben wollen? Warum sollten wir nicht Seite an Seite in den Tod gehen?«
»Es steht Euch nicht zu, Statthalter von Gondor, die Stunde des eigenen Todes zu bestimmen«, antwortete Gandalf. »Nur die Barbarenkönige taten dies unter der Herrschaft des dunklen Götzen. In stolzer Verzweiflung töteten sie sich selbst und mordeten auch ihre Anverwandten, um sich den eigenen Tod zu erleichtern.« Die Tür durchschreitend, trug er Faramir aus dem Totenhaus und legte ihn auf die Bahre, auf der man ihn gebracht hatte und die nun in der Vorhalle stand. Denethor folgte ihm, blieb zitternd stehen und blickte wehmütig seinem Sohn ins Gesicht. Und für einen Moment, während sie ihm alle stumm zusahen, wie er mit sich rang, schien er zu schwanken.
»Kommt!«, sagte Gandalf. »Wir werden gebraucht. Es gibt so viel, das Ihr noch tun könnt.«
Plötzlich lachte Denethor. Stolz und aufrecht stand er wieder vor ihnen. Rasch trat er zurück zu dem Tisch mit dem Scheiterhaufenund nahm das Kissen zur Hand, auf das er seinen Kopf gebettet hatte. Dann kam er wieder zur Tür und streifte den Bezug ab. Was er in den Händen hielt, war ein
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