Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
dieser Stadt und in den Ländern des Westens! Viel Leid und große Ruhmestaten sind geschehen. Sollen wir klagen oder jubeln? Unverhofft ist der Feldherr unserer Feinde vernichtet worden, und ihr habt seinen Todesschrei verhallen gehört. Aber einen schmerzlichen Verlust hat er uns zugefügt, ehe er ging. Und den hätte ich abwenden können, hätte Denethors Wahnsinn mich nicht aufgehalten. So weit reicht der Arm unseres Feindes nun schon! Ach, und nun erkenne ich, wie sein Wille bis ins Herz der Stadt einzudringen vermochte.
Obwohl die Statthalter glaubten, dass dies ein nur ihnen bekanntes Geheimnis sei, hatte ich längst erraten, dass hier im Weißen Turm wenigstens einer der sieben sehenden Steine verwahrt wurde. Als er noch bei Verstand war, maßte Denethor sich nicht an, ihn zu gebrauchen und Sauron damit herauszufordern, denn da kannte er die Grenzen der eigenen Kraft. Doch sein Verstand ließ nach; und ich befürchte, dass er, als die Gefahr für sein Reich wuchs, in den Stein geblickt hat und sich täuschen ließ: viel zu oft, vermute ich, seit Boromir fortging. Er war zu mächtig, als dass ihn der Dunkle Herrscher seinem Willen hätte unterwerfen können, und dennochsah er nur, was jener ihm zu sehen erlaubte. Das Wissen, das er so erlangte, war ihm zweifellos oft dienlich; doch das Bild von Mordors Übermacht, das man ihm zeigte, nährte in seinem Herzen die Verzweiflung, bis sein Geist ihr erlag.«
»Nun versteh ich, was mir so sonderbar vorkam«, sagte Pippin, und noch in der Erinnerung grauste es ihm. »Der Gebieter ging aus dem Zimmer, wo Faramir lag, und als er wiederkam, fand ich ihn zum ersten Mal verändert: ein alter, gebrochener Mann.«
»Eben zu der Stunde, als man Faramir in den Turm brachte, haben mehrere von uns ein seltsames Licht in der obersten Kammer gesehen«, sagte Beregond. »Aber wir hatten dieses Licht auch schon früher gesehen, und seit langem gab es in der Stadt Gerüchte, dass der Herr bisweilen im Geiste mit dem Feind ringe.«
»Ach, dann hab ich richtig geraten«, sagte Gandalf. »So also hat Saurons Wille bis nach Minas Tirith hineingewirkt; und so also wurde ich hier aufgehalten. Und hier werde ich notgedrungen bleiben müssen, denn bald werde ich außer Faramir noch andere Sorgen bekommen.
Jetzt muss ich hinunter, denen entgegen, die vom Schlachtfeld kommen. Etwas habe ich dort gesehen, was mir von Herzen leidtut, und Schlimmeres kann noch kommen. Begleite mich, Pippin! Du, Beregond, solltest in die Zitadelle zurückkehren und dem Hauptmann der Wache berichten, was geschehen ist. Es wird leider seine Pflicht sein, dich aus der Wache zu entlassen; doch sag ihm, wenn er auf meinen Rat hören will, du solltest in die Häuser der Heilung geschickt werden, als Leibwache und Diener deines Hauptmanns, damit du ihm zur Seite stehn kannst, wenn er erwacht – sollte das je der Fall sein. Denn durch dich wurde er vor dem Feuer bewahrt. Geh jetzt! Ich komme bald wieder.«
Dann ging er mit Pippin zur Unterstadt hinab. Und während sie durch die Straßen eilten, trug der Wind einen grauen Regen heran, und alle Brände fielen in sich zusammen, und vor ihnen stiegen große Dampfwolken auf.
ACHTES KAPITEL
DIE HÄUSER DER HEILUNG
E in Nebel aus Tränen und Müdigkeit stand Merry vor Augen, als sie sich dem zertrümmerten Tor von Minas Tirith näherten. Er achtete kaum auf die Verwüstungen ringsum und auf die Leichen, die überall auf dem Feld lagen. Brand, Rauch und Gestank hingen in der Luft; denn viele Maschinen waren in die Feuergräben gestoßen worden, ebenso wie viele der Erschlagenen, und hier und da lagen Kadaver der großen südländischen Ungeheuer, halb verbrannt, von Steingeschossen zermalmt oder mit den Pfeilen der tapferen Bogenschützen von Morthond in den Augen. Der peitschende Regen hatte fürs Erste aufgehört, und die Sonne stand schon am Himmel; doch die ganze Unterstadt lag noch in den Qualm von Schwelbränden gehüllt.
Schon waren Männer an der Arbeit, um durch das Feld der Kriegstrümmer einen Weg zu bahnen; und aus dem Tor kamen nun Leute mit Tragbahren. Behutsam betteten sie Éowyn auf weiche Kissen; den Leichnam des Königs aber bedeckten sie mit einem großen golddurchwirkten Tuch, und sie gingen mit Fackeln neben seiner Bahre; und der Wind ließ die Flammen bleich im Sonnenschein flackern.
So kamen Théoden und Éowyn in Gondors Hauptstadt, und alle, die sie sahen, entblößten den Kopf und verneigten sich; und sie kamen durch den Qualm und
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