Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
Palantír. Als er ihn emporhielt, schien es den Zuschauern, dass die Kugel von innen zu glühen begann, sodass das schmale Gesicht des Statthalters wie von einem roten Feuer erhellt wurde. Wie aus hartem Stein gemeißelt sah es aus, von scharfen schwarzen Schatten durchzogen, edel, stolz und schrecklich. Seine Augen funkelten.
»Stolze Verzweiflung!«, rief er. »Dachtest du, die Augen des Weißen Turms seien blind gewesen? Nein, mehr als du Grauer Narr weißt, hab ich gesehen. Denn deine Hoffnung ist nur Unwissen. Geh denn und sieh zu, ob du ihn heilen kannst! Geh doch und kämpfe! Vergebens. Vielleicht erlebst du ja noch einen Triumph im Felde, für einen Tag. Aber gegen die Macht, die nun heranzieht, gibt es keinen Sieg. Nur den Zeigefinger ihrer Hand hat sie bis jetzt gegen diese Stadt ausgestreckt. Der ganze Osten ist in Bewegung. Und selbst jetzt trügt dich der Wind deiner Hoffnung und treibt eine Flotte unter schwarzen Segeln den Anduin herauf. Der Westen ist am Ende. Für jeden, der kein Sklave werden will, ist es an der Zeit zu sterben.«
»Solche Entschlüsse sichern dem Feind den Sieg allerdings«, sagte Gandalf.
»Dann hoffe nur weiter!«, sagte Denethor lachend. »Dich kenn ich, Mithrandir! Was du erhoffst, ist, an meiner Stelle regieren zu können, hinter jedem Thron im Norden, Süden oder Westen zu stehen. Deine Pläne und Machenschaften hab ich durchschaut. Meinst du, ich weiß nicht, worüber du diesem Halbling hier stillzuschweigen geboten hast? Meinst du, ich weiß nicht, dass du ihn hergebracht hast, um einen Spion selbst in meiner Kammer zu haben? Und doch habe ich in unseren Gesprächen die Namen und die Absichten aller deiner Gefährten erfahren. So! Mit der linken Hand wolltest du mich noch ein Weilchen als Schild gegen Mordor benutzen und mit der rechten diesen Waldläufer aus dem Norden heranholen, der mich ersetzen soll.
Aber lass dir gesagt sein, Gandalf Mithrandir, ich bin nicht dein Werkzeug! Ich bin Statthalter des Hauses Anárion. Ich lasse mich nicht zur vergreisten Hofschranze eines Emporkömmlings erniedrigen. Und würde mir seine Abkunft auch bewiesen, stammte er doch nur aus Isildurs Linie. So einem will ich mich nicht beugen – dem letzten Spross eines heruntergekommenen Hauses, das der Königswürde längst verlustig gegangen ist.«
»Was würdet Ihr Euch denn wünschen«, sagte Gandalf, »wenn alles nach Eurem Willen ginge?«
»Ich würde mir wünschen, dass alles so bleibt, wie es mein Leben lang und zu Zeiten meiner Ahnen gewesen ist: dass ich in Frieden diese Stadt regieren und dann meinen Platz einem Sohn hinterlassen könnte, der sein eigener Herr und kein Zauberlehrling wäre. Wenn aber das Schicksal mir dies verweigert, will ich lieber nichts: weder das verarmte Leben noch die halbierte Liebe oder die beschränkte Ehre.«
»Mir scheint nicht, dass ein Statthalter, der sein Amt wieder abgibt, nachdem er es gewissenhaft erfüllt hat, dadurch an Ehre und Ansehen verliert«, sagte Gandalf. »Und zumindest dürft Ihr Euren Sohn nicht seiner Wahlfreiheit berauben, solange sein Tod noch ungewiss ist.«
Bei diesen Worten glühten Denethors Augen wieder auf, und den Stein unter den Arm nehmend, zog er ein Messer und wollte zur Bahre treten. Aber Beregond sprang dazwischen und stellte sich vor Faramir.
»So!«, schrie Denethor. »Meines Sohnes Liebe hast du mir schon zur Hälfte gestohlen. Nun stiehlst du mir auch noch die Herzen meiner Ritter, sodass sie mich zuletzt meines Sohnes ganz berauben. Doch in einem wenigstens sollst du meinem Willen nicht im Wege sein: dass ich mein Ende selbst bestimme.
Herbei!«, rief er seinen Dienern zu. »Herbei, wenn ihr noch nicht alle treulos seid!« Zwei von ihnen rannten die Treppe hinauf zu ihm. Dem einen entriss er eine Fackel und sprang ins Haus zurück. Bevor Gandalf ihn hindern konnte, warf er sie mitten auf den Holzstoß, der sofort prasselnd aufflammte.
Dann sprang Denethor auf den Tisch, und dort, inmitten von Rauch und Flammen, hob er den Amtsstab auf, der zu seinen Füßen lag, und zerbrach ihn übers Knie. Er warf die Stücke in die Flammen, ließ sich nieder und streckte sich auf dem Tisch aus, den Palantír mit beiden Händen an die Brust drückend. Und später habe jeder, so hieß es, der in diesen Stein blickte, sofern sein Wille nicht stark genug war, ihn zu etwas anderem hinzulenken, immer nur zwei in den Flammen verfallende Altmännerhände gesehen.
Traurig wandte Gandalf das Gesicht ab und schloss die Tür.
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