Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
Eine Weile stand er noch in stummem Nachsinnen vor der Schwelle, während man von drinnen das Feuer gierig brüllen hörte. Dann schrie Denethor noch einmal laut auf, und danach sagte er nichts mehr und wurde von keinem Sterblichen je wieder gesehen.
»So endet Denethor, Ecthelions Sohn«, sagte Gandalf. Dann wandte er sich an Beregond und die fassungslosen Diener des Statthalters. »Und so enden auch die Tage Gondors, so wie ihr es kennt; ob zum Glück oder Unglück, aber sie sind vorüber. Böses ist hier geschehen; aber begrabt nun alle Feindschaft zwischen euch, denn sie ist vom Feind angestachelt und dient nur seinem Willen. Ihr habt euch in einem Netz von widerstreitenden Pflichten verfangen, das ihr nicht selbst geknüpft habt. Aber, ihr Diener eures Herrn, bedenkt, dass bei eurem blinden Gehorsam und ohne Beregonds Verrat nun auch Faramir verbrannt wäre, der Feldhauptmann des Weißen Turms.
Tragt nun eure gefallenen Kameraden von dieser Unglücksstätte fort! Und wir wollen Faramir, Gondors Statthalter, an einen Ort tragen, wo er in Frieden schlafen kann, oder sterben, wenn es sein Schicksal so will.«
Gandalf und Beregond hoben die Bahre auf und trugen sie davon zu den Häusern der Heilung, während Pippin mit gesenktem Kopf hinterdrein ging. Denethors Diener aber standen noch, wie gelähmt vor sich hin starrend, beim Haus der Toten; und als Gandalf eben das Ende der Rath Dínen erreichte, gab es ein lautes Getöse. Zurückschauend sahen sie das Kuppeldach des Hauses bersten undRauch verströmen, und gleich darauf stürzte es in einem Funkenregen krachend und polternd ein; die Flammen aber erstickten nicht, sondern tanzten flackernd weiter zwischen den Trümmern. Entsetzt flohen die Diener und folgten Gandalf.
Schließlich kamen sie wieder zur Tür des Statthalters, und mit Bedauern sah Beregond die Leiche des Pförtners davor liegen. »Diese Tat wird mich ewig reuen«, sagte er; »aber ich wurde rasend, weil es so eilig war und er nicht hören wollte; und dann zog er die Waffe gegen mich.« Er verschloss die Tür mit dem Schlüssel, den er dem Erschlagenen abgenommen hatte. »Der müsste nun dem Herrn Faramir übergeben werden«, sagte er.
»Der Fürst von Dol Amroth führt in Abwesenheit des Statthalters den Befehl«, sagte Gandalf; »doch weil er nicht hier ist, muss ich dies auf mich nehmen. Ich befehle dir, den Schlüssel zu bewahren, bis in der Stadt wieder Ordnung herrscht.«
Nun kamen sie in die oberen Stadtringe, und im Morgenlicht legten sie das letzte Stück Weges zu den Häusern der Heilung zurück. Dies waren ansehnliche, ein wenig abseits gelegene Bauten, in denen zu anderen Zeiten die schwer Leidenden gepflegt wurden, die jetzt aber ganz auf die Behandlung der Sterbenden oder im Kampf Verwundeten eingerichtet waren. Sie standen nah an der Südmauer des sechsten Rings, unweit der Zitadelle, und waren von einer mit Bäumen bestandenen Wiese umgeben, dem einzigen solchen Grün in der Stadt. Dort wohnten die wenigen Frauen, denen erlaubt worden war, in der Stadt zu bleiben, weil sie heilkundig oder den Heilkundigen behilflich waren.
Doch als Gandalf und seine Begleiter eben die Bahre zum Haupteingang brachten, hörten sie einen gewaltigen Schrei, der schrill und durchdringend vom Schlachtfeld vor dem Tor zum Himmel aufstieg, langsam erstarb und vom Wind davongetragen wurde. So entsetzlich klang dieser Schrei, dass sie für einen Moment alle stillstanden; und dennoch ging ihnen plötzlich, als er verhallt war, im Herzen eine Hoffnung auf, wie sie keine mehr gekannt hatten, seitdas Dunkel aus dem Osten gekommen war; und der Tag schien hell zu werden, und die Sonne brach durch die Wolken.
Gandalf aber machte ein ernstes und trauriges Gesicht. Er überließ es Beregond und Pippin, Faramir in die Heilstätte zu tragen, und stieg selbst auf die nahe Mauer hinauf; und dort stand er, weiß und wie aus Stein gehauen, in der neu aufgegangenen Sonne und blickte aufs Feld hinaus. Und mit der Sehergabe, die ihm verliehen war, sah er alles, was vorgefallen war; und als Éomer sich aus der vordersten Reihe seiner Schlachtordnung löste und zu denen trat, die auf dem Felde lagen, da seufzte er, warf den grauen Mantel wieder um sich und stieg von der Mauer herab. Als Beregond und Pippin aus den Häusern herauskamen, fanden sie ihn in Gedanken versunken vor der Tür stehend.
Sie schauten ihn an, und eine Weile blieb er still. Endlich sprach er wieder. »Freunde«, sagte er, »und ihr Menschen alle in
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