Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
dort wurden sie gut gepflegt. Denn obwohl alles Wissen in diesen späteren Tagen nicht mit seiner einstigen Höhe vergleichbar war, waren die Heilkundigen von Gondor doch immer noch kenntnisreich und tüchtig in der Behandlung von Wunden, Brüchen und allen Krankheiten, von denen die Sterblichen östlich des Meeres heimgesucht wurden. Bis auf das Alter: Dagegen hatten sie noch kein Mittel entdeckt. Ihre Lebensspanne war sogar kürzer geworden und kaum mehr länger als die anderer Menschen, und abgesehen von manchen Geschlechtern reineren Geblüts gab es unter ihnen nicht mehr viele, die bei guter Gesundheit die hundert Jahre überschritten. Doch nun versagte all ihre Kunst und Kenntnis, denn viele litten an einer Krankheit, die sich nicht heilen ließ; und man nannte sie den Schwarzen Schatten, denn sie kam von den Nazgûl. Und wer von ihr befallen war, versank langsam immer tiefer in einen Traum, wurde dann von Stille und tödlicher Kälte umfangen und starb. Und den Pflegern schienen der Halbling und die Herrin von Rohan von dieser Krankheit schwer getroffen zu sein. Zwar sprachen sie noch dann und wann im Laufe des Vormittags, murmelten in ihren Träumen vor sich hin; und die Pflegerinnen hörten genau zu, was sie sagten, in der Hoffnung, vielleicht etwas zu erfahren, das ihnen helfen könnte, die Art ihrer Verletzungen zu verstehen. Doch bald dämmerten sie nur noch dahin, und als die Sonne sich nach Westen zu wandte, kroch ein grauer Schatten über ihre Gesichter. Faramir aber glühte in einem Fieber, das nicht nachlassen wollte.
Gandalf ging voll Sorge von einem zum andern und ließ sich alles berichten, was die Pflegerinnen erlauscht hatten. Und so verstrich der Tag, während draußen die Schlacht tobte, die Hoffnungen auf und nieder schwankten und seltsame Nachrichten eintrafen; undimmer noch wachte und wartete Gandalf und ging nicht fort. Als endlich das Rot des Sonnenuntergangs den ganzen Himmel erfüllte und das Licht durch die Fenster auf die grauen Gesichter der Kranken fiel, da schien es den Umstehenden, dass in dem Glutschein auch die Gesichter sich ein wenig röteten, als kehrte die Gesundheit wieder; doch es war nur ein Trugbild der Hoffnung.
Da blickte die alte Ioreth, die älteste der Frauen, die in dem Hause dienten, auf Faramirs edles Gesicht, und sie weinte, denn alle in der Stadt liebten ihn. »Ach, wenn er nur nicht stirbt!«, sagte sie. »Ach, wenn es doch noch Könige gäbe in Gondor, wie es sie einst gegeben haben soll! Denn in einer alten Geschichte heißt es: Die Hände des Königs sind Hände eines Heilers. Und daran konnte man immer erkennen, wer der rechtmäßige König war.«
Und Gandalf, der dabeistand, sagte: »Lange mögen die Menschen deiner Worte gedenken, Ioreth! Denn sie bergen eine Hoffnung. Vielleicht ist wahrhaftig ein König nach Gondor wiedergekehrt; oder hast du nicht die seltsamen Nachrichten gehört, die in die Stadt gelangt sind?«
»Ich hatte hier allerlei zu tun, zu viel, um auf all das Geschrei und Gerede zu achten«, antwortete sie. »Ich hoffe nur, die mordlustigen Teufel kommen nicht in dieses Haus und belästigen die Kranken.«
Da ging Gandalf in aller Eile hinaus; und das Feuer am Himmel brannte schon nieder, die schwelende Glut der Berggipfel verblasste, und über die Felder kroch ein aschgrauer Abend.
Bei Sonnenuntergang nun näherten sich Aragorn, Éomer und Imrahil mit ihren Rittern und Hauptleuten der Stadt; und als sie ans Tor kamen, sagte Aragorn:
»Seht, wie die Sonne in einem großen Feuer versinkt! Es ist ein Zeichen für das Ende und den Untergang vieler Dinge und für eine Wende im Lauf der Welt. Doch diese Stadt und dieses Reich sind viele Jahre lang in der Obhut der Statthalter geblieben, und wenn ich sie nun ungebeten betrete, so befürchte ich, Zweifel und Bedenken zu erwecken, die es nicht geben darf, solange dieser Krieg nichtbeendet ist. Ich trete daher nicht ein und erhebe keinerlei Anspruch, bis entschieden ist, ob wir oder Mordor die Oberhand behalten. Meine Männer werden Zelte auf dem Schlachtfeld aufschlagen, und hier warte ich, bis der Statthalter mich willkommen heißt.«
Aber Éomer sagte: »Du hast schon die Fahne der Könige mit den Feldzeichen des Hauses Elendil gezeigt. Willst du dulden, dass dies angefochten wird?«
»Nein«, sagte Aragorn, »aber mir scheint die Zeit noch nicht reif, darauf zu bestehen; und ich wünsche mit niemandem Streit außer mit unserem Feind und seinen Dienern.«
Und der Fürst Imrahil sagte:
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