Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
»Was du sagst, Herr, ist klug, wenn ein Verwandter des Herrn Denethor dir in dieser Sache raten darf. Er ist stolz und willensstark, aber ein alter Mann; und seit sein Sohn niedergestreckt wurde, hat er seltsame Launen. Doch möchte ich nicht, dass du wie ein Bettler vor der Tür warten musst.«
»Nicht wie ein Bettler«, sagte Aragorn. »Sagen wir, wie ein Hauptmann der Waldläufer, denen Städte und steinerne Häuser ungewohnt sind.« Und er befahl, sein Banner einzurollen; und den Stern des Nördlichen Königreichs nahm er ab und gab ihn Elronds Söhnen in Verwahrung.
Dann verließen ihn Fürst Imrahil und Éomer von Rohan und ritten durch die Stadt und die erregte Volksmenge zur Zitadelle hinauf; und sie kamen in den Turmsaal, um den Statthalter aufzusuchen. Aber sie fanden den hohen Sitz verlassen, und davor lag Théoden, König der Mark, stattlich aufgebahrt, umgeben von zwölf Fackeln; und zwölf Ritter, teils aus Rohan, teils aus Gondor, hielten die Totenwache. Und der Bettbehang war grün und weiß, doch bis zur Brust war der König mit dem großen golddurchwirkten Tuch bedeckt, und darauf lagen sein blankes Schwert und, ihm zu Füßen, sein Schild. Das Licht der Fackeln schimmerte auf seinem weißen Haar wie Sonnenstrahlen auf einem Springquell, sein Gesicht aber war edel und jugendlich, nur, dass ein Friede darauf lag, den die Jugend nicht kennt; und er schien zu schlafen.
Nachdem sie eine Weile stumm bei dem König stehen geblieben waren, sagte Imrahil: »Wo ist der Statthalter? Und wo ist Mithrandir?«
Und einer der Wachtposten sagte: »Der Statthalter von Gondor ist in den Häusern der Heilung.«
Aber Éomer sagte: »Wo ist Frau Éowyn, meine Schwester; denn gewiss sollte sie doch hier neben dem König aufgebahrt liegen, und nicht mit geringeren Ehren? Wo hat man sie hingebracht?«
Und Imrahil sagte: »Aber die Frau Éowyn war noch am Leben, als man sie hierher trug. Weißt du das nicht?«
Da lebte so plötzlich wieder Hoffnung in Éomers Herzen auf, und zugleich mit ihr quälende Furcht und Besorgnis, dass er ohne ein Wort kehrtmachte und rasch aus dem Saal ging; und der Fürst folgte ihm. Draußen war es nun Abend, und viele Sterne standen am Himmel. Vor der Tür zu den Häusern der Heilung trafen sie Gandalf, der zu Fuß kam und einen Mann in grauem Mantel mitbrachte. Sie begrüßten Gandalf und sagten: »Wir suchen den Statthalter, und man sagt uns, er befinde sich in diesem Hause. Hat ihn ein Leiden befallen? Und die Frau Éowyn, wo ist sie?«
Und Gandalf sagte: »Sie liegt drinnen und ist nicht tot, doch dem Tod nahe. Der Herr Faramir aber wurde von einem üblen Pfeil verwundet, wie ihr gehört habt; und er ist nun Statthalter, denn Denethor ist von uns gegangen, und sein Totenhaus liegt in Asche.« Und voll Schmerz und Verwunderung hörten sie an, was er berichtete.
»So ist es ein freudloser Sieg«, sagte Imrahil, »und teuer erkauft, wenn an einem Tag Gondor und Rohan zugleich ihrer Herrscher beraubt werden. Éomer regiert nun die Rohirrim. Wer soll unterdessen die Stadt regieren? Sollen wir nicht gleich nach dem Herrn Aragorn schicken?«
Nun ergriff der Graumantel das Wort und sagte: »Er ist schon da.« Und als er ins Licht der Laterne an der Tür trat, sahen sie, dass es Aragorn war, in dem Mantel aus Lórien über dem Panzerhemd und ohne ein anderes Wahrzeichen als Galadriels grünen Stein. »Ich bin auf Gandalfs Bitten gekommen«, sagte er. »Doch einstweilenbin ich nur der Hauptmann der Dúnedain von Arnor; und der Herr von Dol Amroth soll die Stadt regieren, bis Faramir wieder bei Kräften ist. Doch mein Rat wäre, dass in den nächsten Tagen und in allem, was den Feind betrifft, Gandalf uns alle regieren sollte.« Und darin wurden sie einig.
Dann sagte Gandalf: »Bleiben wir nicht an der Tür stehen, die Zeit drängt! Gehn wir hinein! Nur weil Aragorn gekommen ist, bleibt noch Hoffnung für die Kranken, die im Hause liegen. Denn also sprach Ioreth, eine weise Frau aus Gondor: Die Hände des Königs sind Hände eines Heilers, und an ihnen wird der rechtmäßige König erkannt. «
Sie traten ein, Aragorn zuerst, die andern nach ihm. An der Tür standen zwei Wachtposten in der Tracht der Zitadelle, ein sehr großer und ein ganz kleiner, kaum so groß wie ein Knabe; und als dieser sie sah, schrie er laut auf vor Überraschung und Freude.
»Streicher! Wie herrlich! Du, ich hab mir’s doch gleich gedacht, dass du das warst in den schwarzen Schiffen. Aber die andern haben alle
Weitere Kostenlose Bücher