Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
und ist lange, lange her. Dies ist meine Geschichte, und die ist nun zu Ende. Lebt wohl!« Und dann war sein Gedanke weit fort, und seine Augen sahen nichts mehr.
SECHSTES BUCH
ERSTES KAPITEL
DER TURM VON CIRITH UNGOL
S am rappelte sich mühsam auf. Zuerst wusste er nicht, wo er war, aber gleich darauf hatten das Elend und die Verzweiflung ihn wieder. Er stand in tiefer Dunkelheit außen vor dem unterirdischen Eingang zu dem Orkturm; die metallenen Türen waren geschlossen. Er musste betäubt umgefallen sein, als er sich dagegenwarf; aber wie lange er liegen geblieben war, wusste er nicht. Vorher hatte er geglüht vor Wut und Verzweiflung; nun zitterte er vor Kälte. Er legte das Ohr an die Tür.
Von weit drinnen kam undeutliches Gebelfer von Orkstimmen, aber bald verstummte es oder war nicht mehr in Hörweite, und alles wurde still. Sein Kopf schmerzte, und Lichter flimmerten ihm vor den Augen, aber er nahm sich zusammen und überlegte. So viel war klar, dass er keine Aussicht hatte, durch dieses Tor in den Turm zu gelangen; es konnte Tage dauern, bis es wieder geöffnet wurde, und so lange konnte er nicht warten: Zeit war entsetzlich kostbar. Er hatte keinen Zweifel mehr, was nun seine Pflicht war: seinen Master zu retten oder bei dem Versuch umzukommen.
»Umkommen ist wahrscheinlicher und wird sowieso viel einfacher sein«, sagte er sich grimmig, als er Stich in die Scheide steckte und von den metallenen Türen fortging. Langsam tastete er sich im Dunkeln durch den Gang zurück; das Elbenlicht wollte er lieber nicht gebrauchen. Im Gehen versuchte er sich über die Geschehnisse, seit sie von der Wegscheide gekommen waren, klar zu werden. Er hätte gern gewusst, wie spät es war. Irgendwie zwischen einem Tag und dem nächsten, nahm er an, aber selbst die Tage bekam er nicht mehr zusammen. Er war in einem Land der Finsternis, woman die Tage, oder was man anderswo auf der Welt so nannte, wohl vergessen konnte; und jeden, der hierher kam, konnte man auch vergessen.
»Ob die andern alle überhaupt noch an uns denken«, fragte er sich, »und wie es ihnen wohl geht da drüben?« Er schwenkte die Hand irgendwo in die Richtung vor sich, aber tatsächlich ging er jetzt nach Süden, weil er wieder zu Kankras Stollen zurückkam, und nicht nach Westen. Draußen, westlich von ihm, ging es auf Mittag, und nach dem auenländischen Kalender war es der 14. März. Eben führte Aragorn die schwarze Flotte aus Pelargir stromaufwärts, Merry ritt mit den Rohirrim durchs Steinkarrental, während in Minas Tirith die Brände aufflammten und Pippin den Wahnsinn in Denethors Augen immer heller leuchten sah. Doch in all ihren eigenen Sorgen und Nöten dachten die Freunde immer wieder an Frodo und Sam. Vergessen waren sie nicht. Aber sie waren weit weg, und dass sie an ihn dachten, half Samweis, Hamfasts Sohn, im Moment wenig; er war mutterseelenallein.
Er kam wieder an die Steintür des Orkgangs, und weil er noch immer keinen Knopf oder Riegel fand, der sie verschlossen hielt, kletterte er wieder hinauf und ließ sich auf der anderen Seite weich hinunterfallen. Dann schlich er zum Ausgang des Stollens, wo die Fetzen von Kankras großen Gespinsten noch im kalten Luftzug baumelten. Denn kalt kam es ihm vor nach der muffigen Luft im Dunkeln; doch der frische Hauch wirkte belebend. Vorsichtig schlich er hinaus.
Es war unheimlich still. Das Licht war nicht heller als in der Abenddämmerung eines trüben Tages. Die Rauchsäulen, die über Mordor aufstiegen, zogen niedrig nach Westen über ihn hinweg, dicke Wolkenbänke, nun wieder in einem düsteren roten Glutschein von unten.
Sam schaute zum Orkturm hinauf, und plötzlich sah er aus den schmalen Fenstern Lichter wie kleine rote Augen herausglotzen. Er fragte sich, ob es Signale seien. Seine Furcht vor den Orks kehrtewieder, nachdem er sie in seiner Wut und Verzweiflung zeitweilig vergessen hatte. Soweit er sehen konnte, gab es nur eines, was er tun konnte: weitergehen und den Haupteingang in den entsetzlichen Turm suchen; aber da wurden ihm die Knie weich, und er merkte, dass er zitterte. Er riss die Augen vom Turm los und richtete sie auf die Hörner über der Spalte, die vor ihm lag; und dann, die widerspenstigen Füße zum Gehorsam zwingend, angespannt lauschend und in die dichten Schatten der Felsen am Wegrand spähend, ging er wieder zurück, an der Stelle vorüber, wo Frodo gestürzt war und immer noch Kankras Gestank in der Luft hing, und dann weiter bergauf, bis er genau da in
Weitere Kostenlose Bücher