Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
zustand, nicht ein zur Größe eines Königreichs ausgewucherter Garten; und mit den eigenen Händen wollte er arbeiten, nicht anderer Leute Hände befehligen.
»Und all diese Flausen sind ja sowieso nur ein Trick«, sagte er sich. »Der würde mich finden und mich ducken, ehe ich Piep sagen könnte. Der hätte mich ganz schnell beim Wickel, hier in Mordor, wenn ich jetzt den Ring aufsteckte. Na, ich kann nur sagen, die Sache sieht so hoffnungslos aus wie bei Frost im Frühjahr. Grad jetzt, wo es mal wirklich nützlich wäre, unsichtbar zu sein, kann ich den Ring nicht gebrauchen. Und wenn ich irgend weiterkomme, hab ich damit immer nur eine Last und einen Klotz am Bein. Was kann man da bloß machen?«
Aber er war nicht wirklich im Zweifel. Er wusste, was zu machen war: zum Tor gehen und nicht lange fackeln. Er zuckte die Achseln, als wollte er alle Flausen und Hirngespinste abschütteln, und begann langsam den Abstieg. Mit jedem Schritt schien er zu schrumpfen. Bald war er wieder ein ganz kleiner, ängstlicher Hobbit. Nun kam erunter die Turmmauern, und das Geschrei und Kampfgetöse wurde auch für sein unverstärktes Ohr unüberhörbar. Im Moment schien der Lärm aus dem Hof hinter der Umfassungsmauer zu kommen.
Sam war den Pfad etwa zur Hälfte hinabgestiegen, als zwei Orks aus dem dunklen Tor in den roten Glutschein hinausgerannt kamen, nicht ihm entgegen, sondern zur Hauptstraße hin. Plötzlich stolperten sie, stürzten hin und blieben liegen. Sam hatte keine Pfeile gesehen, vermutete aber, dass andere auf den Mauern oder im Schatten des Tores die beiden erschossen hatten. Er ging weiter, dicht an die Mauer links von ihm gedrückt. Mit einem Blick nach oben hatte er erkannt, dass hinüberklettern unmöglich war. Das Mauerwerk stieg dreißig Fuß hoch an, ohne Spalten oder Simse, doch mit überstehenden Kanten wie umgestülpten Treppenstufen. Der einzige Weg führte durchs Tor.
Er schlich weiter und überlegte, wie viele Orks Schagrat wohl im Turm hatte und wie viele mit Gorbag gekommen waren; und worüber sie, wie es den Anschein hatte, in Streit geraten waren. Schagrats Trupp musste etwa vierzig Mann stark gewesen sein, und Gorbag hatte mehr als doppelt so viele; aber natürlich war Schagrats Streife nur ein Teil der Turmbesatzung gewesen. Fast mit Sicherheit stritten sie sich um Frodo und um die Beute. Eine Sekunde blieb Sam stehen, denn mit einem Mal war ihm alles klar, beinah, als hätte es sich vor seinen Augen abgespielt. Der Mithrilpanzer! Natürlich, Frodo trug ihn, und sie mussten ihn gefunden haben. Und nach allem, was Sam gehört hatte, würde Gorbag ihn an sich bringen wollen. Und weil die Befehle des Dunklen Turms einstweilen Frodos einziger Schutz waren, konnte er, wenn sie missachtet würden, jeden Augenblick mir nichts, dir nichts umgebracht werden.
»Weiter, du elende Schlafmütze!«, schrie Sam sich selbst an. »Los und drauf!« Er zog Stich und rannte zum offenen Tor. Aber als er unter dem großen Torbogen hindurchwollte, spürte er einen Ruck: als wäre er gegen ein Netz gerannt, wie das vor Kankras Stollen, nur unsichtbar. Er konnte kein Hindernis sehen, aber irgendetwas, dasstärker war als sein Wille, versperrte ihm den Weg. Er blickte umher, und im Schatten des Tors sah er die Zwei Wächter.
Es waren zwei große, auf Thronen sitzende Figuren. Jede hatte drei miteinander verwachsene Leiber und drei Geierköpfe, von denen je einer nach außen, nach innen und auf den Eingang blickte; und auf den breiten Knien lagen klauenartige Hände. Sie schienen aus großen Steinblöcken gehauen zu sein, unbeweglich, und doch hatten sie ein Bewusstsein: Ein Geist boshafter Wachsamkeit hauste in ihnen. Sie erkannten jeden Feind. Keiner, ob sichtbar oder nicht, konnte unbemerkt an ihnen vorüber. Sie würden ihm den Eintritt oder die Flucht verwehren.
Allen Mut zusammennehmend, rannte Sam noch einmal vorwärts, und wieder kam er mit einem Ruck zu stehen, taumelnd wie von einem Schlag gegen Brust und Kopf. Dann, tollkühn, weil ihm nichts Besseres einfiel, folgte er einem Gedanken, der ihm plötzlich kam, und zog langsam Galadriels Phiole aus der Tasche. Er hielt sie hoch. Rasch flammte ihr weißes Licht immer heller auf, und die Schatten unter dem Torbogen ergriffen die Flucht. Die steinernen Wächter saßen kalt und still auf ihren Thronen, in der ganzen Abscheulichkeit ihrer Missgestalt dem Blick preisgegeben. Sekundenlang sah Sam ein Glitzern in den schwarzen Steinen ihrer Augen, so bösartig,
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