Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
oben konnten sie nicht gesehen werden; aber der Pfad machte viele Biegungen, und bei jeder legten sie die Hand ans Schwertheft und bewegten sich mit viel Vorsicht.
Das Licht wurde nicht heller, denn noch immer spie der Orodruin mächtige Rauchwolken aus, die, von den Gegenwinden aufwärts gedrückt, immer höher bis in eine Region über dem Wind stiegen und sich zu einem unermesslichen Dach ausbreiteten, dessen Mittelpfeiler aus den Schatten aufragte, die nun außerhalb des Blickfelds der Hobbits lagen. Über eine Stunde waren sie marschiert, als sie einen Laut hörten, der sie jäh anhalten ließ. Unglaublich, aber unverkennbar: Rieseln von Wasser! Aus einer Rinne zur Linken, so scharf und schmal, als hätte eine Riesenaxt hier den schwarzen Fels gespalten, tröpfelte es herab, ein letzter Rest vielleicht von einem köstlichen, aus einem sonnenbeschienenen Meer gesogenen Regen, von einem bösen Schicksal dazu verurteilt, auf die Wälle des Schwarzen Landes niederzugehen und im unfruchtbaren Staub zu versickern. Hier trat es als ein kleines fallendes Rinnsal aus dem Felsen, floss über den Pfad, bog dann nach Süden und verlor sich bald zwischen trockenem Gestein.
Sam rannte darauf zu. »Wenn wir die hohe Frau je wiedersehn, sag ich’s ihr«, rief er. »Erst Licht und jetzt Wasser!« Dann hielt er an. »Lass mich zuerst trinken, Herr Frodo!«, sagte er.
»Meinetwegen, aber Platz genug ist doch für uns beide.«
»Das mein ich nicht«, sagte Sam. »Ich meine, wenn es giftig ist oder irgendwie so schlecht, dass es sich schnell bemerkbar macht, also dann, versteh mich recht, Master, lieber ich als du.«
»Ich versteh schon. Aber ich finde, wir sollten beide zusammen auf unser Glück vertrauen, Sam, oder auf unseren Segen. Trotzdem, trinke vorsichtig, wenn es sehr kalt ist.«
Das Wasser war kalt, aber nicht eisig, und es hatte einen unangenehmen Beigeschmack, bitter und ölig zugleich; so jedenfalls hätten sie zu Hause gesagt. Hier aber konnte man es gar nicht genug loben, und ihre Befürchtungen und Bedenken waren überflüssig. Sie stillten ihren Durst, und Sam füllte seine Flasche. Frodo fühlte sich erleichtert, und sie gingen noch mehrere Meilen, bis die Verbreiterung des Weges und die Anfänge einer rohen Mauer am Wegrand ihnen anzeigten, dass sie sich einem Orkposten näherten.
»Hier biegen wir ab, Sam«, sagte Frodo, »und zwar nach Osten.« Seufzend blickte er zu den düsteren Bergkämmen auf der andern Seite des Tals hinüber. »Meine Kraft reicht gerade noch bis da hinauf, und dann muss ich mich in irgendein Loch verkriechen und etwas ausruhen.«
Das Bachbett verlief jetzt ein Stück weit unterhalb des Weges. Sie stiegen hinab und begannen es zu durchqueren. Zu ihrer Überraschung stießen sie auf dunkle Pfützen, die von dünnen Rinnsalen aus einer weiter oben im Tal gelegenen Quelle gespeist wurden. An seinen Rändern zu Füßen des Gebirges im Westen war Mordor ein sterbendes Land, aber tot war es noch nicht. Hier wuchsen Pflanzen, krumm und zäh und bitter, im harten Kampf ums Dasein. In den Schluchten des Morgai auf der anderen Seite des Tals hielten sich niedrige, struppige Bäume, borstiges Gras trotzte den Steinen, und welkes Moos kroch über sie hinweg; und überall dichtes, verfilztes, wucherndes Dornengestrüpp. Manche Büsche hatten lange, gerade Stechdornen, andere hatten krumme, messerscharfe mit Widerhaken. Die dunklen verdorrten Blätter eines früheren Jahres hingen noch an ihnen, raschelnd und rasselnd im müden Windhauch, aber ihre madenbenagten Knospen gingen jetzt erst auf. Fliegen, braun, grau oder schwarz, wie die Orks mit einem roten augenförmigen Fleck gezeichnet, brummten und stachen; und über den Dornendickichten schwirrten und tanzten Wolken von Mücken.
»Orkkleidung nützt da nichts«, sagte Sam, um sich schlagend. »Eine Orkhaut müsste man haben!«
Schließlich konnte Frodo nicht mehr weiter. Sie waren eine enge, schräge Schlucht hinaufgestiegen, aber es war noch weit, bis sie den zackigen obersten Kamm auch nur vor Augen hätten. »Ich muss jetzt ruhen, Sam, und, wenn es geht, auch schlafen«, sagte Frodo. Er schaute sich um, aber in dieser trostlosen Gegend schien es nicht mal ein Loch zu geben, in dem ein Tier sich hätte verkriechen können. Todmüde krochen sie zuletzt unter ein Dorngefilz, das wie eine Matte von einem niedrigen Felsen herabhing.
Da saßen sie und hielten eine Mahlzeit, so gut es ging. Das kostbare Lembas hoben sie für kommende schlechte
Weitere Kostenlose Bücher