Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
endlich ging ihm die bittere Wahrheit auf: Mit ihrem Proviant würden sie bestenfalls bis ans Ziel kommen; und wenn die Aufgabe erfüllt wäre, würden sie dort allein, schutzlos und ohne Nahrung inmitten der entsetzlichen Wüste verenden. Es gäbe kein Zurück.
»War das also die Aufgabe, von der ich dachte, dass ich sie erfüllen müsse, als ich mitging«, sagte er sich, »Herrn Frodo zu helfen bis zum letzten Schritt und dann mit ihm zu sterben? Na, wenn es sein muss, dann muss es sein. Aber so gern würd ich doch Wasserau wiedersehn, Rosie Hüttinger und ihre Brüder, den Ohm und Goldblume und alle andern. Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass Gandalf den Herrn Frodo auf diese Fahrt geschickt hätte, wenn gar keine Hoffnung bestanden hätte, dass er je wieder heimkommt. Alles ist schiefgegangen, als er in Moria von der Brücke gestürzt ist. Wäre das doch bloß nicht passiert! Er hätte bestimmt etwas getan.«
Doch während Sams Hoffnung erlosch oder zu erlöschen schien, verwandelte sie sich in neue Kraft. Sein einfaches Hobbitgesicht wurde streng, fast grimmig, als der Wille in ihm sich härtete, und erspürte, wie ihm ein Strom durch alle Glieder lief, als würde er nun zu einer Kreatur von Stein und Stahl, den weder Verzweiflung noch Müdigkeit noch die unzähligen Meilen öden Landes bezwingen könnten.
Mit einem ganz neuen Sinn für die eigene Verantwortlichkeit lenkte er sein Augenmerk wieder auf das benachbarte Gelände, wo die nächsten Schritte zu tun wären. Als es heller wurde, sah er zu seiner Überraschung, dass das Land, das ihm von fern als eine weite, eintönige Ebene erschienen war, tatsächlich uneben und zerwühlt war. Die ganze Fläche der Gorgoroth war übersät mit großen Löchern, als wäre sie einstmals eine Einöde von weichem Schlamm gewesen und ein Hagel von riesigen Bolzen und Schleudersteinen wäre darauf niedergeprasselt. Die größten dieser Löcher waren mit einem Grat von zerbrochenem Gestein umrandet, und breite Bodenspalten gingen von ihnen aus in alle Richtungen. In diesem Land war es möglich, von einem Versteck zum andern zu schleichen, unbemerkt, außer von sehr wachsamen Blicken: möglich zumindest für einen, der gut bei Kräften war und keine Eile hatte. Für den Hungrigen und Erschöpften, der noch einen weiten Weg zurückzulegen und nicht mehr lange zu leben hatte, sah es schlecht aus.
All dies bedenkend, ging Sam zu seinem Master zurück. Er brauchte ihn nicht zu wecken. Frodo lag auf dem Rücken, hatte die Augen offen und blickte zum Wolkenhimmel auf. »So, Herr Frodo«, sagte Sam, »ich hab mich mal umgeschaut und mir ein paar Dinge überlegt. Auf den Straßen ist nichts zu sehen, und wir machen uns am besten davon, solange dazu Gelegenheit ist. Wird es gehn?«
»Es wird gehn«, sagte Frodo. »Es muss.«
Wieder brachen sie auf, krochen von Mulde zu Mulde und huschten in jede Deckung, die sich bot, hielten aber immer schräg auf die Vorberge der nördlichen Bergkette zu. Die am weitesten östliche der Straßen verlief zunächst in gleicher Richtung, bog dann jedoch ab, führte am Saum des Gebirges entlang und zuletzt in eine schwarze Schattenwand weit vor ihnen hinein. Niemand, wederMensch noch Ork, war auf ihrer flachen grauen Bahn jetzt unterwegs, denn der Dunkle Herrscher hatte seine Truppenverschiebungen fast abgeschlossen, und selbst hinter den Befestigungen seines eigenen Landes legte er Wert auf die Heimlichkeit der Nacht. Er fürchtete die Winde der Welt, die sich gegen ihn gewandt hatten und seine Schleier zerrissen, und die Nachrichten von verwegenen Spähern, die durch seine Bollwerke geschlüpft seien, machten ihm Sorgen.
Mühsam hatten die Hobbits einige wenige Meilen hinter sich gebracht, als sie haltmachten. Frodo schien am Ende seiner Kräfte zu sein. Sam begriff, dass er auf diese Weise nicht mehr lange weitergehen könnte: bald kriechend, bald gebückt, bald ganz langsam einen Weg suchend, bald in hastigem Laufschritt.
»Ich gehe wieder auf die Straße, solange es hell ist, Herr Frodo«, sagte er. »Vertrauen wir noch mal auf unser Glück! Letztes Mal hat es uns beinah verlassen, aber nicht ganz. Noch ein paar Meilen in gleichmäßigem Schritt und dann eine Rast.«
Es war viel gefährlicher, als er wusste; aber Frodo war zu sehr mit seiner Last und seinem inneren Widerstreit beschäftigt und fast zu hoffnungslos, um sich noch darum zu sorgen. Sie stiegen die Böschung hinauf und stapften die glatte, böse Straße entlang, die zum
Weitere Kostenlose Bücher