Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
Straßenbauern viele Ellen hoch glatt gehauen war. Er rannte zur andern Seite und blickte über den Rand in den finsteren Abgrund hinunter. »Jetzt haben sie uns endlich!«, sagte er. An der Felswand ließ er sich zu Boden fallen und senkte den Kopf.
»Scheint so«, sagte Sam. »Jetzt können wir nur abwarten.« Und er setzte sich neben Frodo in den Schatten der Felswand.
Lange brauchten sie nicht zu warten. Die Orks hatten ein scharfes Marschtempo. Die in den vordersten Reihen trugen Fackeln. Da kamen sie, rote Flammen in der Dunkelheit, die rasch größer wurden. Nun senkte auch Sam den Kopf, in der Hoffnung, sein Gesicht zu verbergen, wenn die Fackeln sie erreichten; und ihre Schilde stellte er ihnen vor die Knie, damit man ihre Füße nicht sähe.
»Wenn sie es nur so eilig hätten, dass sie zwei müde Krieger in Frieden lassen und einfach vorbeigehen!«, dachte er.
Und zuerst schien es so. Die vordersten Orks keuchten vorüber, mit langen Schritten, die Köpfe gesenkt. Es war eine Rotte vom kleineren Gezücht, Kerle, die sich widerwillig in die Kriege des Dunklen Herrschers treiben ließen, mit dem einzigen Interesse, den Marsch hinter sich zu bringen, ohne mit der Peitsche Bekanntschaft zu machen. Nebenher, bald bei den vorderen, bald bei den hinteren Reihen, liefen zwei von den großen, bulligen Uruks, brüllend und peitschenknallend. Reihe um Reihe zog vorüber, und der verräterische Fackelschein war schon ein ganzes Stück voraus. Sam hielt den Atem an. Mehr als die halbe Kolonne war nun vorbeimarschiert. Da plötzlich bemerkte einer der Sklaventreiber die beiden Gestalten am Straßenrand. Er knallte mit der Peitsche in ihreRichtung und brüllte: »He, ihr da! Aufgestanden!« Sie gaben keine Antwort, und mit einem Kommando brachte er die ganze Kolonne zum Halten.
»Los, ihr Lahmsieder!«, rief er. »Jetzt wird nicht gegammelt!« Er trat einen Schritt näher, und trotz der Dunkelheit erkannte er die Feldzeichen auf ihren Schilden. »Fahnenflucht, was?«, knurrte er. »Oder denkt wohl dran? Eure Truppe sollte bereits gestern Abend in Udûn sein, das wisst ihr genau! Aufgestanden jetzt und ins Glied, oder ich nehme eure Nummern auf und melde euch!«
Mühsam kamen sie auf die Beine und humpelten, wie fußkranke Soldaten, zu den letzten Reihen. »Nein, nicht nach hinten!«, brüllte der Sklaventreiber. »Drei Reihen weiter vor! Und da bleibt ihr, oder ich zeig’s euch, wenn ich vorüberkomme!« Er ließ die lange Peitschenschnur über ihren Köpfen knallen; dann brachte er mit einem weiteren Knall und einem Kommando die ganze Kompanie wieder in Trab.
Es war schwer genug für den armen Sam, so müde, wie er war; aber für Frodo war es eine Qual und bald auch ein Albtraum. Er biss die Zähne zusammen, versuchte an gar nichts zu denken und schleppte sich vorwärts. Der Gestank der schwitzenden Orks ringsum war betäubend, und vor Durst begann er zu hecheln. Weiter ging’s, weiter, und er musste alle Willenskraft zusammennehmen, um auch nur Atem zu holen und die Beine zu bewegen; doch zu welchem bösen Ende er diese Schinderei erduldete, daran wagte er gar nicht zu denken. Es gab keine Gelegenheit, sich unbemerkt zu verdrücken. Hin und wieder blieb der Antreiber zurück und machte seine Scherze mit ihnen.
»Sieh einer an!«, wieherte er und knallte nach ihren Beinen. »Eile mit Keile! Aber Kopf hoch! Ich würde euch gleich jetzt eine kleine Erfrischung gönnen, aber ihr kriegt ja das Fell noch gegerbt, wenn ihr zu spät in euer Lager kommt. Wird euch guttun. Wisst wohl noch gar nicht, dass wir Krieg haben, was?«
So hatten sie einige Meilen zurückgelegt, und die Straße führte nun einen langen Hang hinunter in die Ebene, als Frodo die Kräfte zu verlassen begannen und sein Wille erlahmte. Er taumelte und stolperte. Verzweifelt bemühte sich Sam, ihn zu stützen und mitzuziehen, obwohl er selbst spürte, dass er nicht mehr lange Schritt halten könnte. Jeden Augenblick musste nun das bittere Ende kommen: Der Master würde stürzen oder in Ohnmacht fallen, es käme heraus, wer sie waren, und all ihre Mühen wären vergebens gewesen. »Diesen dicken Teufel von einem Sklaventreiber nehm ich jedenfalls noch mit«, dachte er.
Gerade, als er schon nach dem Schwertheft tastete, gab es unversehens eine Pause. Sie waren nun draußen auf der Ebene und näherten sich dem Eingang von Udûn. Ein Stück vor ihnen, vor dem Tor am Brückenkopf, traf die Straße von Westen mit anderen, von Süden und von Barad-dûr
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