Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)

brauchen Wasser, oder wir kommen nicht weiter.«
    Sam schlich hinaus, huschte noch vorsichtiger, als selbst für einen Hobbit üblich, von Fels zu Fels, lief zum Bachbett hinunter und folgte ihm auf dem Anstieg nach Norden bis zu den Felsstufen, wo zweifellos vor langer Zeit eine Quelle sich in einem kleinen Wasserfall ergossen hatte. Jetzt schien hier alles still und trocken zu sein; aber Sam wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Er beugte sich vor und horchte, und tatsächlich hörte er zu seiner Freude ein leises Tröpfeln. Er stieg ein paar Stufen höher und fand ein winziges Rinnsal dunklen Wassers, das vom Berghang herabkam und sich in einem kleinen Becken sammelte, von wo es überfloss und zwischen den kahlen Steinen versickerte.
    Sam kostete das Wasser und fand es trinkbar. Er stillte seinen Durst, füllte die Flasche und wollte zurückgehen. Im gleichen Augenblick sah er eine schwarze Gestalt oder einen Schatten zwischen den Felsen nahe bei Frodos Versteck hindurchhuschen. Einen Schrei unterdrückend, sprang er die Stufen von der Quelle hinab und rannte zurück, in langen Sätzen von Stein zu Stein. Es war eine scheue Kreatur, schlecht zu sehen, aber Sam hatte keinen Zweifel, wer es war; und er brannte darauf, ihm an die Gurgel zu gehen. Aber der Bursche hörte ihn kommen und machte sich schnell davon. Sam glaubte noch zu sehen, wie er zuletzt über den Rand des Steilhangs auf der Ostseite zurückblickte, ehe er verschwand.
    »Also, das Glück hat mich nicht im Stich gelassen«, murmelte Sam, »aber beinah! Muss denn, wo es hier schon von Tausenden von Orks wimmelt, auch noch dieser stinkende Schuft herumschnüffeln? Hätten sie ihn doch bloß erschossen!« Er setzte sich neben Frodo, ohne ihn zu wecken. Sich selbst schlafen zu legen, wagte er nicht. Endlich, als er merkte, dass ihm die Augen zufielen, ob er wollte oder nicht, weckte er Frodo sehr sanft.
    »Dieser Gollum ist wieder da, befürchte ich«, sagte er. »Jedenfalls,wenn er es nicht war, dann muss es ihn doppelt geben. Ich bin Wasser suchen gewesen, und als ich gerade wieder kehrtmachte, sah ich ihn herumschleichen. Ich schätze, es ist zu gefährlich, wenn wir beide zugleich schlafen. Verzeih mir, aber ich kann die Augen nicht mehr offen halten.«
    »Meine Güte, Sam!«, sagte Frodo. »Leg dich hin, du bist ja längst an der Reihe! Aber lieber Gollum als die Orks! Jedenfalls wird er uns nicht an sie verraten – es sei denn, er wird selbst geschnappt.«
    »Aber auf eigene Faust ein bisschen rauben und morden könnte er auch«, knurrte Sam. »Halte die Augen auf, Herr Frodo! Da ist eine Flasche Wasser. Trink sie aus, wir können sie nachfüllen, ehe wir weitergehn.« Gleich darauf war Sam eingeschlafen.
    Das Licht schwand, als er erwachte. Frodo saß mit dem Rücken an den Felsen gelehnt, aber auch er war eingeschlafen. Die Wasserflasche war leer. Von Gollum keine Spur.
    Die Mordor-Dunkelheit war wieder eingekehrt, und die Wachtfeuer auf den Höhen brannten heiß und rot, als sich die Hobbits zur gefährlichsten Etappe ihrer Fahrt aufmachten. Zuerst gingen sie zu der kleinen Quelle, und dann, vorsichtig aufsteigend, kamen sie auf die Straße, an der Stelle, wo sie zum zwanzig Meilen entfernten Isenmaul nach Osten abbog. Die Straße war nicht breit, ohne Mauer oder Geländer an der Außenseite, und der steile Absturz zur Rechten wurde, je weiter man ging, immer tiefer. Nichts schien sich auf der Straße zu bewegen, und nachdem die Hobbits eine Weile gehorcht hatten, machten sie sich in gleichmäßigem Schritt auf den Weg nach Osten.
    Nach etwa zwölf Meilen machten sie eine Pause. Kurz vorher war die Straße ein wenig nach Norden gebogen; daher hatten sie die schon zurückgelegte Strecke nicht mehr im Blick. Das erwies sich als gefährlich. Sie ruhten ein paar Minuten aus und gingen dann weiter; aber sie hatten noch nicht viele Schritte getan, als sie in der Stille der Nacht plötzlich das Geräusch hörten, vor dem sie sich insgeheim schon die ganze Zeit gefürchtet hatten: den Marschtritteiner Kompanie. Es war noch ein Stück hinter ihnen, aber als sie zurückblickten, sahen sie schon Fackeln um die Biegung kommen, weniger als eine Meile entfernt und schnell näher rückend: zu schnell für Frodo, als dass sie auf der Straße hätten entkommen können.
    »Das hab ich befürchtet, Sam«, sagte Frodo. »Wir haben auf unser Glück vertraut, und es lässt uns im Stich. Wir sitzen in der Falle.« Ratlos blickte er an der Felswand hoch, die von den alten