Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
nieder. Frodo blieb stehen. »Hat keinen Sinn«, hörte er Merry sagen.»Krieg keinen Fuß mehr vor den andern. Erst ein Nickerchen machen. Unter den Weiden ist es kühl. Weniger Fliegen.«
Etwas an dem Ton, wie Merry das sagte, gefiel Frodo gar nicht. »Komm weiter!«, rief er. »Für ein Nickerchen ist es noch zu früh. Wir müssen erst aus diesem Wald heraus.« Aber die andern waren schon zu müd, um auf ihn zu hören. Sam stand bei ihnen, gähnte und rieb sich die Augen.
Nun spürte Frodo selbst, wie ihn der Schlaf übermannte. Sein Kopf schwamm in Nebeln. Fast kein Ton war zu hören. Die Fliegen summten nicht mehr. Nur ein leises, kaum hörbares Murmeln wie ein halb gesungenes, halb geflüstertes Lied schien aus den Zweigen über ihm zu kommen. Er hob die schweren Lider und sah einen riesigen Weidenbaum über sich gebeugt, uralt und grau. Gewaltig sah er aus, die emporgestreckten Äste wie Greifarme mit vielen langfingrigen Händen, der krumme und knorrige Stamm voller klaffender Risse, die leise knarrten, wenn sich die Zweige bewegten. Das Flimmern der Blätter vor dem hellen Himmel betäubte ihn, er kippte um und blieb im Gras liegen, wie er gefallen war.
Merry und Pippin schleppten sich noch ein paar Schritte vorwärts und warfen sich hin, mit dem Rücken gegen den Weidenstamm. Hinter ihnen öffneten die Spalten in der Rinde sich weit, um sie aufzunehmen, während der Baum schwankte und knarrte. Sie sahen hoch zu den graugelben Blättern, die sich sacht gegen das Licht bewegten und zu singen schienen. Sie schlossen die Augen und glaubten fast, Worte zu hören, kalte Worte eines Liedes von Wasser und Schlaf. Sie ergaben sich dem Zauber, und bald waren sie am Fuß der großen grauen Weide fest eingeschlafen.
Frodo kämpfte noch eine Weile gegen den Schlaf an, der ihn zu überwältigen drohte; dann raffte er sich auf und kam wieder auf die Füße. Er spürte ein übermächtiges Verlangen nach kaltem Wasser. »Warte hier, Sam!«, stammelte er. »Muss kurz ein Fußbad nehmen.«
Wie im Traum ging er zur ufernahen Seite des Baumes, wo die dicken, krummen Wurzeln ins Wasser hinausreichten wie knotige kleine Drachen, die sich hinabbogen, um zu trinken. Auf eine derWurzeln setzte er sich rittlings und plätscherte mit den brennenden Füßen im kalten braunen Wasser; und dort fiel auch er plötzlich in Schlaf, mit dem Rücken an den Baum gelehnt.
Sam setzte sich hin, kratzte sich am Kopf und gähnte wie ein Scheunentor. Er war unruhig. Es war schon spät am Nachmittag, und diese jähe Schläfrigkeit war ihm nicht geheuer. »Da steckt mehr dahinter«, brummte er in sich hinein, »das kommt nicht nur von der Sonne und der warmen Luft. Dieser große, dicke Baum gefällt mir gar nicht. Dem trau ich nicht. Hör nur, jetzt singt der wahrhaftig ein Schlaflied! So geht das doch nicht!«
Er riss sich zusammen und stand auf, dann ging er los, um nach den Ponys zu sehen. Zwei waren ein ganzes Stück auf dem Weg weitergelaufen, und kaum hatte er sie eingefangen und zu den anderen zurückgebracht, da hörte er zwei Geräusche, das eine laut, das andere leise, aber sehr deutlich: das Aufplatschen von etwas Schwerem, das ins Wasser fiel, und ein Klicken, wie wenn eine Tür still, aber bestimmt ins Schloss fällt.
Er rannte zum Wasser. Frodo lag darin, dicht am Ufer, und eine dicke Baumwurzel über ihm schien ihn hinunterzudrücken, aber er wehrte sich nicht. Sam packte ihn bei der Jacke und zog ihn unter der Wurzel vor, dann schleppte er ihn mit einiger Mühe aufs Trockene. Fast augenblicklich kam Frodo hustend und spuckend wieder zu sich.
»Stell dir vor, Sam«, sagte er, als er sich beruhigt hatte, »dieser brutale Baum hat mich reingeworfen! Ich hab es gemerkt. Die dicke Wurzel hat sich einfach gedreht und mich reingekippt.«
»Ich denke, du wirst geträumt haben, Herr Frodo«, sagte Sam. »An solch einen Platz sollte man sich eben nicht setzen, wenn einem schläfrig ist.«
»Was ist mit den andern?«, fragte Frodo. »Was die wohl jetzt für Träume haben?«
Sie gingen um den Baum herum, und als sie auf die andere Seite kamen, verstand Sam, was das Klicken bedeutete, das er vorhin gehört hatte. Pippin war verschwunden. Die Spalte, in die er sich gelehnt hatte, war zugeschnappt, so fest, dass keine Ritze mehr zu sehen war. Auch Merry war gefangen: Eine andere Spalte hatte sich um seinen Leib geschlossen. Die Beine schauten heraus; alles Übrige steckte in einer dunklen Höhlung, deren Kanten ihn wie eine Zange gepackt
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