Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
seinem Haus fast genau nach Norden zu reiten, durch den flacheren westlichen Teil der Höhen; so konnten sie hoffen, in einem Tagesritt die Oststraße zu erreichen, ohne den Hügelgräbern allzu nahe zu kommen. Im Übrigen sollten sie keine Angst haben – sich aber um keinen Preis auf Dinge einlassen, die sie nichts angingen.
»Haltet euch immer dahin, wo das Gras grün ist! Gebt euch nicht mit alten Steinen und kalten Wichten ab, und schnüffelt nicht in deren Behausungen herum, es sei denn, ihr wäret starke Männer, deren Herz vor nichts zurückschreckt!« Dies sagte er ihnen mehr als einmal; und an den Gräbern, wenn sie zufällig doch eines sehen würden, müssten sie immer auf der Westseite vorbeigehen. Dann brachte er ihnen noch ein Lied bei, das sie singen sollten, wenn sie am nächsten Tag durch irgendein Missgeschick in Gefahr oder Schwierigkeiten gerieten.
He, Tom Bombadil, komm zu unsrer Freude,
Komm, bei Wasser, Wald und Berg, komm bei Schilf und Weide,
Komm, bei Feuer, Sonn’ und Mond, eilends angetreten,
Komm, Tom Bombadil, denn wir sind in Nöten!
Als sie ihm dies genau nachgesungen hatten, klopfte er ihnen allen lachend auf die Schultern; dann brachte er sie mit Kerzen zu
ihrem Schlafzimmer.
ACHTES KAPITEL
NEBEL AUF DEN HÜGELGRÄBERHÖHEN
N ächtliche Laute hörten sie diesmal nicht. Aber Frodo, ohne dass er wusste, ob er träumte oder wachlag, ging ein lieblicher Gesang durch den Sinn: ein Gesang, der wie ein Licht durch einen grauen Regenschleier zu dringen schien, zuerst blass, dann heller werdend und den Schleier ganz in Glas und Silber verwandelnd, bis er schließlich weggezogen wurde und den Blick auf ein grünes Land freigab, das sich im Licht einer rasch aufgehenden Sonne weit in die Ferne erstreckte.
Das Traumgesicht schmolz im Erwachen, und da war Tom, pfeifend wie ein ganzer Baum voller Vögel, und die Sonne stand schon über dem Berg und schien durchs offene Fenster herein. Draußen war alles grün und blassgolden.
Nach dem Frühstück, bei dem sie wieder allein gelassen wurden, machten sie sich bereit zum Abschied, nahezu schweren Herzens, obgleich das an einem solchen kühlen und klaren Morgen unter dem reinen blassblauen Herbsthimmel kaum möglich war. Der Wind wehte frisch von Nordwesten. Ihre braven Ponys waren fast übermütig, sie schnoben und stampften unruhig. Tom kam aus dem Haus, schwenkte seinen Hut und tanzte auf der Türschwelle herum. Er redete den Hobbits zu, endlich aufzusitzen und sich schleunigst auf den Weg zu machen.
Sie ritten davon auf einem Weg, der sich hinter dem Haus zum Nordende des Bergkamms hinaufschlängelte, unter dem das Haus stand. Eben waren sie abgesessen, um die Ponys den letzten steilen Hang hinaufzuführen, als Frodo plötzlich anhielt.
»Goldbeere«, rief er. »Die hohe Frau in Silber und Grün, wir haben ihr nicht Lebewohl gesagt und sie auch seit gestern Abend nicht mehr gesehen.« Er war so betrübt, dass er noch einmal umkehren wollte, doch im gleichen Augenblick drang ein heller, lang gezogener Ruf zu ihnen herunter. Dort auf dem Bergkamm stand sie und winkte ihnen. Sie ließ ihr Haar lose im Wind flattern, und wenn die Sonne es traf, strahlte und schimmerte es; und das Gras unter ihren Füßen funkelte von Tauperlen, als sie tanzte.
Sie eilten das letzte Stück des Hangs hinauf und blieben atemlos bei ihr stehen. Sie verneigten sich, doch Goldbeere gebot ihnen mit einer Armbewegung, in die Ferne zu blicken; und vom Berg sahen sie auf die Lande im Morgenlicht herab. Die Sicht war nun klar und weit, nicht dunstverschleiert, wie sie es im Wald auf der Hügelkuppe gewesen war, die nun blass und grün über den dunklen Wäldern zu sehen war. In dieser Richtung stieg das Land in bewaldeten Schwellen an, grün, gelb und rostrot in der Sonne; und dahinter lag, ihrem Blick entzogen, das Tal des Brandywein. Von Süden, weit hinter dem Lauf der Weidenwinde, schimmerte es von fern wie mattes Glas, wo der Brandywein im Flachland eine große Biegung machte, ehe er in Gegenden davonfloss, von denen die Hobbits nichts wussten. Nach Norden zu erstreckte sich das Land hinter den Ausläufern der Höhen in Wellen und Niederungen, grau, grün oder sandfarben, bis es in einer schattenhaften, dunstigen Ferne verschwamm. Nach Osten stiegen die Kämme der Hügelgräberhöhen an, einer hinter dem andern, und lösten sich, wo sie dem Blick entschwanden, in etwas auf, das eher zu erraten als zu sehen war: eine Andeutung von blauen Umrissen und einem
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