Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
hatte, und im gleichen Moment schien Dunkelheit ihn zu umfangen. DasPony schnob und bäumte sich auf; er wurde abgeworfen. Als er sich umsah, merkte er, dass er allein war. Die anderen waren nicht nachgekommen.
»Sam!«, rief er. »Pippin! Merry! Nun macht schon! Warum haltet ihr nicht Schritt?«
Keine Antwort. Er bekam es mit der Angst, rannte zwischen den Steinen zurück, aufgeregt brüllend. Das Pony ging ihm durch und verschwand im Nebel. Aus einiger Entfernung, wie es ihm vorkam, glaubte er einen Ruf zu hören: »He! Frodo! He!« Er stand unter den großen Steinen, spähte und horchte in den Nebel hinaus. Der Ruf kam von links, von Osten. In die Richtung rannte er los. Es ging steil bergauf.
Im Laufen rief er und rief, immer lauter und hektischer; aber eine ganze Weile hörte er keine Antwort, und dann kam eine, aber sehr schwach, anscheinend von weit voraus und hoch über ihm. »Frodo! He!«, drangen dünne Stimmen durch den Nebel, und dann kam ein Schrei, der sich wie Hilfe! anhörte, Hilfe!, immer wieder, bis der letzte Schrei in einen lang gedehnten Schmerzenslaut überging und dann jäh abbrach. Er stolperte so schnell er konnte in die Richtung, aus der die Schreie kamen, aber das Licht war nun geschwunden, und die Dunkelheit schien ihn umklammert zu halten, sodass es unmöglich war, sich über die Richtung im Klaren zu bleiben. Die ganze Zeit kam es ihm vor, als ginge es bergauf.
Nur daran, dass der Boden unter seinen Füßen ebener wurde, erkannte er schließlich, dass er einen Gipfel oder Kamm erreicht haben musste. Er war müde, schwitzte und fror zugleich. Es war nun völlig dunkel.
»Wo seid ihr nur?«, rief er jämmerlich.
Wieder keine Antwort. Er stand still und horchte. Plötzlich wurde es sehr kalt, und ein eisiger Höhenwind kam auf. Ein Wetterumschwung bahnte sich an. Der Nebel flog in Klumpen und Fetzen an ihm vorüber. Sein Atem dampfte, und die Dunkelheit war nicht mehr so eng und dicht. Er blickte hoch und sah zu seiner Überraschung zwischen den dahinfliegenden Wolken- und Nebelhaufen ein paar blasse Sterne durchschimmern. Der Wind begann übers Gras zu pfeifen.
Plötzlich glaubte er einen erstickten Schrei zu hören und ging darauf zu, und im gleichen Moment rissen die letzten Nebelschleier auf, wurden weggefegt und gaben den Sternhimmel frei. Mit einem Blick erkannte er, dass er mit dem Gesicht nach Süden auf einer Hügelkuppe stand, die er von Norden her erstiegen haben musste. Der beißende Wind kam von Osten. Rechts von ihm ragte eine tiefschwarze Form gegen den westlichen Sternhimmel auf: ein großes Hügelgrab.
»Wo seid ihr?«, rief er noch einmal, in Wut und Angst zugleich. »Hier!«, sagte eine tiefe, kalte Stimme, die aus dem Boden zu
kommen schien. »Ich warte schon auf dich.«
»Nein!«, sagte Frodo; aber er rannte nicht weg. Die Knie wurden ihm weich, und er fiel zu Boden. Nichts geschah, nichts war zu hören. Zitternd blickte er auf und sah eben noch eine große dunkle Gestalt, wie ein Schatten vor den Sternen. Sie beugte sich über ihn. Er glaubte noch zwei Augen zu erkennen, sehr kalte Augen, obgleich ein fahles, wie aus weiter Ferne kommendes Licht daraus schien. Dann packte ihn eine Hand, fester und kälter als Stahl. Die eisige Berührung ließ ihn bis auf die Knochen erstarren, und er wusste von nichts mehr.
Als er wieder zu sich kam, konnte er sich zuerst an nichts als an ein unbestimmtes Grauen erinnern. Dann begriff er plötzlich, dass er gefangen war, hoffnungslos eingekerkert in einem Hügelgrab. Ein Grabwicht hatte ihn geschnappt, und wahrscheinlich war er nun schon mit einem der entsetzlichen Grabwichtsprüche behext, von denen in den Geschichten immer nur flüsternd die Rede war. Er wagte sich nicht zu rühren, sondern blieb in der Haltung liegen, in der er erwacht war: flach auf dem Rücken auf einer kalten Steinplatte, die Hände vor der Brust.
Doch obwohl die Angst so schwer und dicht auf ihn drückte wie die Dunkelheit ringsumher, fielen ihm, während er dort lag, BilboBeutlin und seine Geschichten ein, ihre gemeinsamen Streifzüge durchs Auenland und ihre Gespräche über Straßen und Abenteuer. Ein Körnchen Mut steckt (zugegebenermaßen oft tief verschlossen) auch noch im Herzen des feigsten und fettesten Hobbits und wartet nur darauf, in verzweifelter Lage aufzubrechen und zu keimen. Frodo war weder besonders fett noch feige; vielmehr, doch davon wusste er nichts, hatten ihn Bilbo und Gandalf für den besten Hobbit im ganzen Auenland
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