Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
nun Hunger, und in der hellen Mittagssonne kannten sie keine Furcht; also setzten sie sich auf der Ostseite mit dem Rücken gegen den Stein. Er war kühl, als hätte die Sonne nicht die Kraft, ihn zu erwärmen, aber zu dieser Zeit fanden sie das nur angenehm. Dort machten sie sich über die mitgebrachten Speisen und Getränke her und hielten eine Mittagsmahlzeit, wie man sie sich unter freiem Himmel nicht besser wünschen konnte, denn alles stammte von »unterm Berg«: Tom hatte sie mit allem, was sie an einem Tag verdrücken konnten, reichlich versorgt. Die Ponys, denen sie ihre Traglasten abgenommen hatten, streunten frei übers Gras.
Der lange Ritt durch die Hügel und die anschließende wohlige Sättigung, die warme Sonne und der Duft des Grases, die Tatsache, dass sie ein bisschen zu lange liegen blieben, um die Beine auszustrecken und den Himmel über ihren Nasenspitzen zu betrachten: all dies erklärt wohl zur Genüge, was geschah. Jedenfalls, es gab ein plötzliches und unbehagliches Erwachen aus einem Schläfchen, das sie sich eigentlich nicht hatten gönnen wollen. Der Stein an ihrem Rücken war kalt und warf einen langen, bleichen Schatten, der nach Osten über sie hinausgriff. Die Sonne, blass und wässrig gelb hinter einem Dunst, schien eben noch über den westlichen Rand der Mulde, in der sie lagen; von Norden, Süden und Osten drängte von unten ein dicker, kalter weißer Nebel heran. Die Luft war klamm, still und drückend. Ihre Ponys standen dicht beisammen und ließen die Köpfe hängen.
Erschrocken sprangen die Hobbits auf und liefen zum westlichen Rand. Sie sahen, dass sie auf einer Insel in einem Nebelmeer standen. Während sie noch in die tief stehende Sonne blickten, versank sie vor ihren Augen in den weißen Schwaden, und im Osten hinter ihnen stieg ein kalter grauer Schatten empor. Der Nebel wogte bis an die Ränder der Mulde heran und über sie hinaus; dann wölbte er sich über ihren Köpfen wie zu einem Kuppeldach. Sie waren eingeschlossen in einer Nebelhalle, deren Mittelsäule der aufrecht stehende Stein war.
Es kam ihnen vor, als säßen sie in einer Falle, die gleich zuschnappen würde; aber noch verloren sie nicht den Mut. Sie erinnerten sich daran, wie erfreulich nahe die Straße gewesen zu sein schien, und auch an die Richtung, in der sie lag. Jedenfalls war ihnen der Aufenthalt in der Mulde um den Stein nun so sehr verleidet, dass siekeine Sekunde lang daran dachten, dort zu bleiben. So schnell es die klammen Finger erlaubten, packten sie ihre Sachen zusammen.
Bald führten sie ihre Ponys über den Rand der Mulde und den langen Nordhang des Hügels in das Nebelmeer hinab. Je tiefer sie kamen, desto kälter und feuchter wurde es; und die Haare klebten ihnen bald triefend an der Stirn. Auf der Talsohle war es so kalt, dass sie anhalten und die Mäntel und Kapuzen hervorholen mussten, die bald mit grauen Tröpfchen bedeckt waren. Dann saßen sie auf und ritten langsam weiter, immer dem Gefälle des Bodens folgend. Sie hielten, so gut es ging, auf die torähnliche Öffnung am Nordende des lang gestreckten Tals zu, die sie mittags gesehen hatten. Wenn sie dort erst hindurch wären, müssten sie, wenn sie nur einigermaßen geradeaus weiterritten, am Ende unvermeidlich auf die Straße treffen. Weiter voraus dachten sie nicht, in der vagen Hoffnung, dass der Nebel irgendwo hinter den Höhen aufhören würde.
Sie kamen sehr langsam voran. Um sich nicht aus den Augen zu verlieren und verschiedene Richtungen einzuschlagen, ritten sie dicht hintereinander, mit Frodo an der Spitze. Hinter ihm kam Sam, dann Pippin und dann Merry. Das Tal schien kein Ende nehmen zu wollen. Da sah Frodo ein Hoffnungszeichen. Zu beiden Seiten vor ihnen im Nebel ragte etwas Dunkles auf, und er vermutete, dass dies nun die Lücke zwischen den Hügeln war, das Nordtor der Hügelgräberhöhen. Wenn sie da hindurchkämen, wären sie im Freien.
»Kommt, mir nach!«, rief er über die Schulter den andern zu und ritt schneller voran. Aber seine Hoffnung löste sich bald in Ratlosigkeit und Bestürzung auf. Die dunklen Flecken wurden noch dunkler, aber auch kleiner, und gleich darauf sah er vor sich zwei hohe, aufrechte Steine, leicht zueinander hingeneigt, drohend wie die Pfosten einer Unheilstür, der nur die Oberleiste fehlte. Er konnte sich nicht erinnern, etwas von ihnen gesehen zu haben, als er mittags vom Hügel über das Tal hinblickte. Nun war das Pony zwischen ihnen hindurchgetrabt, kaum dass er sie bemerkt
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