Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
Höhen. Sie verloren den Faden seiner Geschichte, rutschten auf ihren Plätzen hin und her und tauschten Seitenblicke.
Als sie ihm wieder folgen konnten, merkten sie, dass er inzwischen zu fremden Zonen jenseits allen Hobbitgedenkens und jenseits ihres wachen Denkens geschweift war, in Zeiten, als die Welt noch weiter war und das Meer bis ans Gestade im Westen spülte; und von immer noch früheren Zeitenfernen unter dem ältesten Sternenlicht sang er, als nur erst die Väter der Elben erwacht waren.Dann hielt er plötzlich inne, und sie sahen, dass er mit dem Kopf wackelte, als wollte er einnicken. Still und wie verzaubert saßen die Hobbits vor ihm; und seine Worte schienen den Wind gebannt und die Wolken getrocknet zu haben. Der Tag hatte sich verflüchtigt, und von Osten und Westen zugleich war die Dunkelheit heraufgezogen, und der ganze Himmel glänzte im Licht der weißen Sterne.
Frodo konnte nicht sagen, ob der Vor- und Nachmittag eines Tages oder vieler Tage vergangen war. Er spürte weder Hunger noch Müdigkeit, sondern nur ein Staunen. Die Sterne schienen zum Fenster herein, und ringsum schien alles still wie der Himmel zu sein. Schließlich, vor Erstaunen und aus einer Furcht vor dieser Stille, die ihn jäh überkam, fragte er:
»Wer bist du, Meister?«
»Äh, was?«, sagte Tom auffahrend, und seine Augen glitzerten im Dämmerlicht. »Kennst du meinen Namen noch nicht? Das ist die einzige Antwort. Sag mir, wer bist du, nur du allein, ohne deinen Namen? Doch du bist jung, und ich bin alt. Der Älteste, der bin ich. Denkt an meine Worte, Freunde: Tom war früher hier als der Fluss und die Bäume; Tom hat den ersten Regentropfen fallen gesehn und die erste Eichel. Tom hat Pfade ausgetreten, ehe die Großen Leute da waren, und die Kleinen Leute hat er kommen gesehn. Er war da vor den Königen, den Gräbern und den Grabwichten. Als die Elben gen Westen fuhren, bevor die Meere gekrümmt wurden, war Tom schon da. Er kannte die Dunkelheit unter den Sternen, als sie noch ohne Schrecken war – bevor der Dunkle Herrscher von Draußen kam.«
Ein Schatten schien übers Fenster zu ziehen, und die Hobbits blickten nervös durch die Scheiben. Als sie sich wieder umwandten, stand Goldbeere in der Tür, hell angeleuchtet. Sie trug eine Kerze, deren Flamme sie mit der Hand gegen den Luftzug abschirmte, und das Licht schimmerte hindurch wie Sonnenstrahlen durch eine weiße Muschel.
»Der Regen hat aufgehört«, sagte sie, »und frisches Wasser läuft zu Tal unter den Sternen. Es ist Zeit, zu scherzen und zu feiern.«
»Und Zeit, zu essen und zu trinken!«, rief Tom Bombadil. »Langes Erzählen macht durstig, langes Zuhören hungrig, ob morgens, mittags oder abends.« Damit sprang er aus seinem Sessel auf und zum Kaminsims, schnappte sich eine Kerze und entzündete sie an der, die Goldbeere in der Hand hielt. Dann tanzte er um den Tisch herum. Plötzlich war er mit einem Satz zur Tür hinaus und verschwunden.
Gleich war er wieder da, mit einem großen, schwer beladenen Tablett. Dann deckten Tom und Goldbeere den Tisch. Die Hobbits wussten nicht, ob sie staunen oder lachen sollten: staunen über Goldbeeres Anmut und Lieblichkeit oder lachen über Toms wilde Kapriolen. Doch irgendwie schienen die beiden einen gemeinsamen Tanz aufzuführen, rein ins Zimmer, raus aus dem Zimmer und rings um den Tisch, ohne dass einer den andern behinderte; und in kürzester Zeit standen Speisen, Geschirr, Gefäße und Lichter an ihren Plätzen. Der Tisch strahlte im Schein der weißen und gelben Kerzen. »Das Abendbrot ist fertig«, sagte Goldbeere, und nun erst sahen die Hobbits, dass sie ganz in Silber gekleidet war, mit einem weißen Gürtel, und ihre Schuhe waren wie von Fischschuppen. Tom aber war ganz in Blau, Hellblau wie vom Regen erfrischte Vergissmeinnichtblüten; nur die Strümpfe waren grün.
Sie aßen noch besser als am vorigen Abend. Unter dem Bann von Toms Erzählungen hatten die Hobbits gar nicht gemerkt, dass sie eine Mahlzeit oder mehrere versäumten, aber als die vollen Schüsseln nun vor ihnen standen, kam es ihnen vor, als hätten sie seit mindestens einer Woche nichts mehr gegessen. Eine ganze Weile gingen sie eifrig zur Sache, ohne zu singen oder viel zu reden. Nach einiger Zeit aber blühten sie wieder auf und ihre Herzen und Seelen hoben sich, und man hörte sie laut lachen und trällern.
Nun sang Goldbeere ihnen viele Lieder vor, Lieder, die mit lustigen Geschichten aus den Hügeln begannen und dann sacht in
Weitere Kostenlose Bücher