Der Herr der Ringe
dasaß und seine zwei Gefährten atmen hörte, stand er auf und stieß Gollum sanft an. Seine Hände streckten sich und zuckten, aber sonst bewegte er sich nicht. Sam beugte sich zu ihm hinunter und sagte dicht an seinem Ohr Fisch, aber es kam keine Antwort von Gollum, nicht einmal ein Stocken des Atems.
Sam kratzte sich den Kopf. »Er muss wirklich schlafen«, murmelte er. »Und wenn ich wie Gollum wäre, würde er nie wieder aufwachen.« Er unterdrückte den Gedanken an sein Schwert und das Seil, der ihm in den Sinn gekommen war, ging wieder zu seinem Herrn und setzte sich neben ihn.
Als er aufwachte, war der Himmel über ihm düster, nicht heller, sondern dunkler als bei ihrem Frühstück. Sam sprang auf. Er fühlte sich kräftig und war hungrig, und daran merkte er mit einem Mal, dass er den ganzen helllichten Tag verschlafen hatte, neun Stunden mindestens. Frodo schlief immer noch ganz fest und lag jetzt ausgestreckt auf der Seite. Gollum war nichtzu sehen. Verschiedene vorwurfsvolle Namen für sich selbst gingen Sam durch den Kopf, die aus dem väterlichen Wortschatz des Ohm stammten; dann fiel ihm auch ein, dass sein Herr recht gehabt hatte: Im Augenblick hatte es nichts gegeben, wovor man sich schützen musste. Sie waren jedenfalls beide am Leben und nicht erwürgt.
»Armer Kerl!«, sagte er halb reumütig. »Ich möchte mal wissen, wo er hingegangen ist.«
»Nicht weit, nicht weit«, sagte eine Stimme über ihm. Er schaute auf und sah den Umriss von Gollums großem Kopf und seinen Ohren gegen den Abendhimmel.
»He, was machst du denn?«, rief Sam; sein Argwohn kehrte zurück, kaum dass er die Gestalt erblickte.
»Sméagol ist hungrig«, sagte Gollum. »Bin gleich zurück.«
»Komm jetzt zurück!«, schrie Sam. »He! Komm zurück!« Aber Gollum war verschwunden.
Frodo wachte auf, als er Sam rufen hörte; er setzte sich auf und rieb sich die Augen. »Nanu«, sagte er. »Ist alles in Ordnung? Wie spät ist es?«
»Weiß nicht«, sagte Sam. »Nach Sonnenuntergang, schätze ich. Und er ist weg. Sagt, er ist hungrig.«
»Beunruhige dich nicht«, sagte Frodo. »Da kann man nichts machen. Er wird zurückkommen, du wirst es sehen. Das Versprechen wird noch eine Weile halten. Und seinen Schatz will er sowieso nicht verlassen.«
Frodo machte nicht viel Aufhebens davon, als er hörte, dass sie beide stundenlang fest geschlafen hatten, während Gollum, und zwar ein sehr hungriger Gollum, frei und ungebunden neben ihnen gewesen war. »Wirf dir nicht die Schimpfnamen des Ohms an den Kopf«, sagte er. »Du warst todmüde, und es hat sich als gut herausgestellt: Jetzt sind wir beide ausgeruht. Und wir haben einen harten Weg vor uns, den schlimmsten Weg von allen.«
»Was das Essen betrifft«, sagte Sam. »Wie lange werden wir brauchen, um diese Sache zu erledigen? Und wenn sie erledigt ist, was werden wir dann tun? Diese Wegzehrung hält uns auf wunderbare Art auf den Beinen, obwohl sie den Magen nicht so recht befriedigt, könnte man sagen: nach meinem Gefühl jedenfalls nicht, was keine Unhöflichkeit gegen die sein soll, die sie gebacken haben. Aber etwas davon muss man jeden Tag essen, und es wird nicht mehr. Ich schätze, wir haben genug für, sagen wir, drei Wochen oder so, und das mit eng geschnalltem Riemen und nur für den hohlen Zahn, wohlgemerkt. Wir sind bisher ein bisschen großzügig damit umgegangen.«
»Ich weiß nicht, wie lange wir brauchen, um – um fertig zu werden«, sagte Frodo. »Wir sind in den Bergen jämmerlich aufgehalten worden. Aber, Samweis Gamdschie, mein lieber Hobbit – wirklich, Sam, mein liebster Hobbit, mein allerbester Freund –, ich glaube nicht, dass wir uns darüber Gedankenmachen müssen, was nachher kommt. Die Sache erledigen, wie du es ausdrückst – welche Hoffnung besteht, dass wir sie je erledigen werden? Und wenn wir es tun, wer weiß, was dann geschehen wird? Wenn der Eine ins Feuer geht und wir in der Nähe sind? Ich frage dich, Sam, ist es wahrscheinlich, dass wir dann wieder Brot brauchen werden? Ich glaube nicht. Wenn wir unsere Glieder so ernähren können, dass sie uns bis zum Schicksalsberg bringen, dann ist das alles, was wir tun können. Mehr als ich tun kann, habe ich allmählich das Gefühl.«
Sam nickte schweigend. Er nahm die Hand seines Herrn und beugte sich über sie. Er küsste sie nicht, doch seine Tränen fielen darauf. Dann wandte er sich ab, fuhr sich mit dem Ärmel über die Nase, stand auf, stapfte umher, versuchte zu pfeifen und
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