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Der Herr der Tränen: Roman (German Edition)

Der Herr der Tränen: Roman (German Edition)

Titel: Der Herr der Tränen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Bowring
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waren robust und gut verarbeitet. Im schlaffen, matten Haar waren Strähnen von verblasster roter Färbung erkennbar.
    Als sie ihn erreichten, blieb Tursa ein wenig zurück. Der Entflochtene schenkte ihnen eine Art Lächeln. Vielleicht fletschte er aber auch nur die Zähne.
    »Sei gegrüßt«, sagte Rostigan. Er dachte daran, sich vorzustellen, aber die Entflochtenen benutzten keine Namen, daher wollte er sein Gegenüber nicht verwirren. »Wir sind Gesandte von Althala.«
    Der Entflochtene sog tief Luft ein. »Was ist das?«, sagte er mit einer Stimme, die für den ausgemergelten Kopf viel zu tief klang. »Riecht ihr es?«
    »Was?«, fragte Tursa. Rostigan sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an, als wollte er sagen: »Willst du seine Aufmerksamkeit wirklich auf dich lenken?« Der Berater fügte nichts hinzu.
    »Was sollen wir riechen?«, fragte Rostigan.
    »Brennende Erde«, antwortete Rotsträhne. »Und manch-
mal riecht es« – seine gespenstisch weiße Zunge schnellte kurz hervor –, »als würde etwas durch einen Spalt wehen.«
    Rostigan runzelte die Stirn. »Folgt ihr dem Geruch?«
    »Nein. Aber er ruft Erinnerungen wach.« Rotsträhne blinzelte und richtete den Blick wieder auf sie. »Warum seid ihr hier?«
    »Ich dachte, du willst mit uns reden?«
    »Nein. Ich führe nur meine Fahne spazieren.« Der Entflochtene kicherte. »Welchen Sinn hat es schon, mit euch zu reden? Ihr seid nicht von ihm berührt.«
    »Das ist ein Scherz – ihr seid die Entartungen!«
    Diesmal machte sich Rostigan nicht die Mühe, Tursa warnend anzusehen.
    »Wie traurig muss es sein«, sagte der Entflochtene, »in euren Hautsäcken zu hausen und nur eure Unwissenheit als Gesellschaft zu haben.«
    »Der Herr der Tränen ist tot«, sagte Tursa. »Er war auch nur ein Mensch.«
    »Ruhe«, fauchte Rostigan, doch der Entflochtene hatte das Gesicht bereits hasserfüllt verzogen, und Dutzende Falten bildeten sich in der eben noch glatten Haut.
    »Ich finde dich«, sagte Rotsträhne und zeigte auf Tursa. »Im Kampf.«
    »Ihr wollt also gegen uns kämpfen?«, fragte Rostigan.
    »Ja!« Der Entflochtene kreischte voller Freude, als wäre ihm dieser Gedanke gerade erst gekommen. »Lasst uns kämpfen! Und danach ziehen wir weiter und kämpfen gegen die anderen. Und danach kämpfen wir gegen noch andere!« In einem anderen Gesicht an einem anderen Ort hätte man ein ehrliches, glückliches Lächeln gesehen.
    »Warum«, fragte Rostigan, »willst du dann mit uns sprechen?«
    »Ich habe doch gesagt, das will ich nicht.«
    »Du hast dein Schwert beiseitegeworfen«, sagte Tursa.
    »Es gefällt mir nicht mehr. Wenn ich mich auf dich stürze, fetter Mann, werde ich kein Schwert brauchen. Ich reiße dir den Kopf mit bloßen Händen ab.«
    »Ich werde mir diese … widerlichen Lügen nicht länger anhören!«, rief Tursa, wendete unbeholfen sein Pferd und galoppierte davon.
    Rostigan seufzte. »Warum musstest du ihm so einen Schrecken einjagen? Er wollte nur vor seinen Leuten tapfer dastehen.«
    Rotsträhne starrte ihn verständnislos an.
    Rostigan beugte sich im Sattel vor. »Sag mir eins, mein lieber Freund. Steht der Turm noch im Tal?«
    »Der Turm? Ja, er steht noch. Er wird ewig stehen.«
    »Natürlich. Und kann man darüber etwas im Himmel sehen?«
    Rotsträhne blinzelte. »Ein Geruch zieht durch die Risse. Ein Sack voll Gnade gegen den Strom geworfen entleert sich in den Fluss.«
    »Könnt ihr etwas sehen?«
    Rotsträhne blitzte mit den Augen. »Rot«, flüsterte er.
    Das Wort lastete schwer auf Rostigan. Die Wunde schwärte noch immer, genau wie es die Gerüchte besagten. Trotzdem hatte er zu hoffen gewagt, sie habe inzwischen die Zeit zur Heilung gefunden. Er starrte auf die hohen Gipfel, als könne er sie mit dem Blick durchdringen und erkennen, was sie vor seinen Augen verbargen.
    »Bald gibt es weitere Risse, Krieger«, sagte Rotsträhne. »Und wir werden helfen, seine Berührung zu verbreiten.«
    Damit ritt er lachend davon.
    »Ich wusste es«, sagte Hunna angewidert. »Dieses Wesen wollte nur unsere Zeit verschwenden.«
    »Warum?«
    »Warum tun die Entflochtenen etwas, obwohl das einzig Gute wäre, wenn sie sich alle gegenseitig selbst erschlagen würden?«
    »Sie denken nicht wie du und ich, König Loppolo«, erklärte Rostigan.
    Auf der anderen Seite der Ebene formierten sich die Entflochtenen, manche auf Pferden, doch die meisten zu Fuß.
    »Sie kommen«, sagte Tursa und erbleichte.
    Auf den Gipfeln hinter den Entflochtenen kam eine Reihe

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