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Der Herr der Tränen: Roman (German Edition)

Der Herr der Tränen: Roman (German Edition)

Titel: Der Herr der Tränen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Bowring
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weißer Gestalten in Sicht, wie ferne Rauchwölkchen. Sie stiegen rasch herab und waren im grellen Tageslicht kaum auszumachen.
    »Mein König, dort!«, sagte ein Offizier und zeigte darauf. »Was ist das?«
    »Seidenrachen«, murmelte Rostigan und stieg ab. Beim Ansturm so vieler Feinde war es klüger, nicht zu hoch zu sitzen.
    »S… Seidenrachen?«, stammelte Tursa. »Aber es sind so viele!«
    Plötzlich stießen die Entflochtenen ein lautes Geheul aus und griffen an. Inzwischen waren die weißen Schemen näher gekommen und klarer zu erkennen – stille Ungeheuer, die durch die Luft schossen.
    »Flachländer, haltet die Stellung!«, rief Hunna und ritt zu seinen Soldaten. »Die Seidenrachen sind uns nicht unbekannt, und sie haben auch schon unsere Klingen geschmeckt!«
    Ja, dachte Rostigan, wenn man einen einzigen Rachen jagt, weil er Schafe gestohlen hat. Das ist nicht das Gleiche. Ich hätte nicht einmal gedacht, dass sie in so großer Zahl existieren.
    »Deine Fadenwirker, König«, sagte er zu Loppolo, »sind unsere beste Gegenwehr!«
    Loppolo nickte entschlossen. »Und Bogenschützen mit Brandpfeilen!« Er brüllte Befehle, und um ihn herum setzten sich Soldaten in Bewegung. Im hinteren Teil des Heers machten sich einige Soldaten aus dem Staub.
    Während der Feind näher kam, begriff Rostigan, dass der Verlauf der Schlacht sich jeder Kontrolle entziehen würde. Er hatte getan, was er konnte, und rechtzeitig ein Heer zu den Fahnen gerufen und hergebracht – jetzt konnte er sich der Woge nur noch entgegenstellen und hoffen, dass sie ihn nicht wegschwemmte.
    »Auf sie!«, schrie Hunna, und die Flachländer ritten mit gesenkten Lanzen los.
    »Zum Angriff!«, rief Loppolo fast zu spät, denn seine Soldaten würden kaum genug Tempo aufnehmen können, ehe sie mit den Entflochtenen zusammenstießen.
    Alles löste sich in Chaos auf.
    Aus der Scheide auf seinem Rücken zog Rostigan ein Breitschwert, das die meisten Männer mit beiden Händen hätten halten müssen. Vor ihm wand sich ein Althalaner, dem das Blut aus dem Hals spritzte und auf dem gelben Gras einen Fleck bildete. Ein anderer Soldat schlug nach dem grinsenden Entflochtenen, der den Hieb ausgeteilt hatte, und versetzte ihm einen langen Schnitt am Arm. Weißes Blut quoll aus der Wunde, zu dick, um zu spritzen. Der Grinser lachte und schlug mit dem verwundeten Arm zu. Der Hieb rammte dem Soldaten die Nase in den Schädel.
    »Auf die Köpfe!«, rief Rostigan und stürzte sich auf den Grinser. Er ließ das Schwert auf ihn niederkrachen, doch der Grinser parierte mit der eigenen Klinge. Ihre Schwerter prallten aufeinander, und einen kurzen Moment zeigte sich Verwirrung im Gesicht des Grinsers, bevor beide Klingen sich gekreuzt tief in dessen Kopf senkten. Wie eine geviertelte Melone brach der Schädel am Hals auseinander, und Rostigan stieß den Körper mit dem Fuß von sich.
    Tief in ihm entzündete sich etwas – eine kleine Flamme im Nichts, die hell brannte. Rostigan wurde sich ihrer sofort bewusst, denn sie ließ ihn warme Befriedigung spüren. Lange hatte er dieses Gefühl nicht mehr gespürt, und er konnte sich nicht überwinden, es zu vertreiben. Stattdessen bewahrte er es wie einen Schatz und sorgte nur dafür, dass die Flamme klein blieb. Er durfte sie nicht wachsen lassen, sonst verzehrte sie ihn.
    In der Nähe ertönte ein Schrei, als ein Flachländer von einem Seidenrachen aus dem Sattel gerissen wurde und inmitten eines Blutnebels in die Luft gehoben wurde. Ein zweiter Rachen landete in der Nähe und rollte über einige Soldaten hinweg. Er erhob sich wie eine Fledermaus auf die Ellbogen der Flügelknochen und schwang den langen Kopf mit den hohlen Augen auf der Suche nach Opfern.
    Von allen Schöpfungen des Herrn der Tränen hasste Rostigan die Seidenrachen am meisten. An ihnen war alles verkehrt. Er war sich nicht sicher, ob sie überhaupt lebten, denn sie hatten kein Fleisch am Leib. Nur Knochen verliehen ihnen Gestalt, die von rauer weißer Seide zusammengehalten wurden, welche sich dehnte und zusammenzog wie Muskelfasern. Sie hatten keine Stimmen, und das einzige Geräusch, das sie von sich gaben, war ein gelegentliches Klacken der Knochen. Der Rachen auf dem Boden öffnete das Maul und dehnte die Stränge, die es zusammenhielten. Nun konnte man die Zähne in den missgebildeten Kiefern sehen. Er schlug sie so heftig zusammen, dass sich die Spitzen durch die eigene Schnauze bohrten, schien dabei aber nichts zu empfinden.
    Ein Soldat stürmte

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