Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herr der Tränen: Roman (German Edition)

Der Herr der Tränen: Roman (German Edition)

Titel: Der Herr der Tränen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Bowring
Vom Netzwerk:
schrecklichen Tragödie bleibt? Oder soll das die neue Ordnung der Welt werden?«
    Auf der anderen Seite des Raums lächelte der Fadenwirker. Der Mann war beeindruckt, denn sicherlich hätte er es nicht besser sagen können.
    »Also gut«, sagte der Wirt, der erneut um seinen Schanktisch kam, »ich glaube, für heute habt ihr meine Gäste genug erschreckt.«
    »Den Schrecken habe nicht ich gebracht«, fauchte Tarzi. »Du wirst dich uns morgen wohl nicht anschließen, guter Wirt? Sondern friedlich schlafen wie ein Ferkel im Schweinestall, das nicht weiß, dass der Schlachttag naht. Macht dich deine Unwissenheit glücklich?«
    Der Wirt wurde rot. »Das reicht.«
    » Ich schließe mich euch an.«
    Das kam von einem kräftigen jungen Mann mit gebräunter Haut und heiterer Miene, einem Bauernjungen, wie es schien. Bei seinen Worten schüttelten die Freunde, mit denen er zusammensaß, den Kopf.
    Rostigan kannte diese Sorte. Gelangweilt von ihrem gewöhnlichen Leben, folgten sie dem Ruf des Abenteuers. Ganze Heere bestanden aus solch sturen jungen Männern, die nicht begriffen, dass zwischen ihnen und dem Ruhm die blutige Wirklichkeit stand.
    »Ich auch«, sagte Borry, »obwohl ich vielleicht zu alt für eine solche Unternehmung bin. Zumindest werde ich euch Vorräte für die Reise bringen.«
    Andere Stimmen erhoben sich, und bald wurde es wieder laut im Raum. Dem Wirt mochte es nicht gelungen sein, Tarzi zum Schweigen zu bringen, doch die anderen Gäste beachteten sie jetzt nicht mehr. Viele der Anwesenden drängten sich um den Fadenwirker und bestürmten ihn mit Fragen. Inzwischen kehrte Tarzi zu Rostigan zurück, wagte es jedoch nicht, ihm in die Augen zu sehen.
    »Bist du mir böse?«, fragte sie.
    Rostigan nahm die Pfeife aus dem Mund. »Ein bisschen«, antwortete er. »Aber … was spielt das schon für eine Rolle?«
    »Und, gehen wir nach Althala?«
    Er kratzte über den Tisch. Ein Splitter löste sich und bohrte sich ihm unter einen Fingernagel. Vorsichtig zog er ihn heraus.
    Welche andere Wahl hatte er schon?
    »Natürlich«, sagte er und seufzte.

SCHÄDELSPALTER
    In der Nacht brauchte Rostigan lange, bis er Schlaf fand. Das lag nicht nur daran, dass Tarzi ihm ständig die Decke wegzog und ihm dann als Knäuel wieder überwarf, denn daran war er gewöhnt. Vielmehr beunruhigten ihn die Neuigkeiten über die Entflochtenen, und er fragte sich, ob sie das Tal bald so in Massen verlassen würden, wie sie es schon einmal getan hatten. Und während er zwischen Schlaf und Wachsein hin und her dämmerte, sah er die goldenen, grasbestandenen Ebenen in der Sonne leuchten und spürte einen warmen Wind im Gesicht, der sich beinahe tröstlich anfühlte.
    Es hieß, nirgendwo sei Aorn flacher, und Rostigan, der weit gereist war, glaubte das gern. Die Felder von Ilduin erstreckten sich als endlose, mit zähem gelbem Steppengras bedeckte Weite bis zu den Ausläufern der Roshausgipfel. Unter der sengenden Sonne flirrte die Luft, und er war unter seinem Stahl schweißnass.
    »Da ist der Pass«, sagte Loppolo, der König von Althala.
    In der Ferne ließ eine Kerbe den Eingang zum Tal des Friedens erkennen. In den Jahrhunderten, seit der Herr der Tränen sein Volk in Entflochtene verwandelt hatte, hatten sie trotz der langen Abwesenheit ihres Herrn nie den Befehl vergessen, das Tal zu verteidigen. In jüngster Zeit allerdings waren viele durch den Pass gekommen und hatten unter bunten Bannern auf den Feldern gelagert. Das war seit Menschengedenken nicht mehr geschehen, und niemand sah es als gutes Omen an.
    »Warum jetzt?«, fragte Loppolo. »Die Entflochtenen lebten stets zurückgezogen. Nun, ja, bis auf einen gelegentlichen Raubzug. So etwas habe ich noch nie erlebt.«
    »Aus gutem Grund«, antwortete Rostigan.
    »Ist ihnen im Tal der Platz ausgegangen?«, fragte sich Loppolo. »Kann es ihr Volk nicht mehr ernähren?«
    Der junge König war von seinen Offizieren und einem großen Heer mit Tausenden Soldaten umgeben. Rostigan hatte sich seltsam gefühlt, als er Loppolo aus freien Stücken aufgesucht hatte. Er hatte ihn überzeugt, etwas zu unternehmen. Der König hatte sich zunächst geweigert, weil er die Berichte über Entflochtene, die das Tal verließen, nicht als besorgniserregend betrachtete. »Sollen sich die Flachländer mit ihnen befassen, wie sie es schon immer getan haben«, hatte er geantwortet. Rostigan war jedoch sehr besorgt gewesen, denn jeder Aufmarsch der Kreaturen des Herrn der Tränen bedeutete Ärger für Aorn.

Weitere Kostenlose Bücher