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Der Herr der Tränen: Roman (German Edition)

Der Herr der Tränen: Roman (German Edition)

Titel: Der Herr der Tränen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Bowring
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verlieren, sondern ihnen im Gegenteil zuvorkommen!«
    Yalenna blickte ihm in die ernsten Augen. Für ihn war es stets leichter gewesen, gegen einen Feind vorzugehen, den er sehen und bekämpfen konnte. Längst hatte er beschlossen, die anderen niederzuwerfen, so wie vor all den Jahren – wie gestern.
    »Außerdem hat sich noch niemand mit den Entflochtenen befasst. Sie schicken Jagdtrupps aus dem …«
    »Du musst begreifen«, unterbrach sie ihn. »Was wir vollbringen wollten, als wir uns selbst umgebracht haben, ist gescheitert.«
    Zorn breitete sich auf seinem Gesicht aus, und sie musste sich zwingen, nicht den Blick abzuwenden. Aber er war viel eher geneigt, ihre Fehler zu vergessen, als sie es war, denn seine Miene wurde milder, und er holte tief Luft.
    »Aber Yalenna«, sagte er, » sie sind die unmittelbare Bedrohung.«
    »Vielleicht. Aber wir können nicht …«
    »Was können wir nicht?« Er nahm ihre Hände und drückte sie. »Die Zeit nutzen, die man uns allen Erwartungen zum Trotz gewährt hat? Etwas Gutes tun, solange wir hier sind? Yalenna, es muss einen geheimnisvollen Grund für unsere Rückkehr geben – aber vielleicht geht es auch nicht um ein Geheimnis, sondern die Große Magie will einfach, dass wir existieren! Auf jeden Fall wissen wir nicht, womit wir es zu tun haben. Soll ich untätig herumsitzen, während Karrak sein Reich erneuert?«
    »Natürlich nicht, aber wir müssen uns unser Vorgehen sorgfältig überlegen. Des Königs von Althala hast du dich bereits entledigt, wie ich höre.«
    »Entledigt würde ich nicht sagen.«
    »Nicht?«
    Braston verzog das Gesicht. »Aber das Volk hat sich so über meine Rückkehr gefreut! Ich erschien auf dem Thron, auf dem ich auch gestorben bin, und nach einem ersten Schrecken sind sie auf die Knie gefallen und haben die Große Magie für das Wunder gepriesen. Du hättest es sehen sollen! Sie wollten mich unbedingt wieder als König haben.«
    »Und du, wolltest du es nicht auch? Wenn wir nun entdecken, dass wir aus einem anderen Grund hier sind? Wenn wir sofort wieder verschwinden müssen? Welche Auswirkungen hat es für dein Reich, wenn der rechtmäßige Herrscher abgesetzt wird? Die Menschen hätten sich auch über dich gefreut, wenn du nicht ihr König geworden wärest. Stattdessen hast du die natürliche Ordnung der Dinge verändert.«
    Braston schüttelte den Kopf. »Du bist zu streng. Ich habe das gleiche Opfer gebracht wie du, und doch hat die Große Magie uns zurückgeholt. Und ganz sicher beabsichtige ich nicht, mich sofort wieder in den Tod zu stürzen, selbst wenn dir danach zumute sein sollte!«
    Der Vorwurf traf Yalenna, dennoch war sie eigenartig dankbar, weil er die Spannungen zwischen ihnen wenigstens zur Kenntnis nahm.
    »Ich hätte mein Volk gar nicht im Stich lassen sollen«, murmelte er. »Ich bin einfach wieder da, wo ich hingehöre.«
    »Das wissen wir nicht.«
    »Na also!« Braston strahlte. »Immerhin räumst du die Möglichkeit ein! Komm mit mir. Ich will mich wieder an die Arbeit machen.«
    Yalenna wusste, dass er Zeit brauchte, wenn er sich mit einem Gedanken anfreunden musste, der ihm nicht gefiel, und besonders stur wurde er, wenn es sich um Fehler handelte, die er begangen hatte. Allerdings würde es ihr auch nicht sehr leichtfallen, ihn umzustimmen, denn sie hatte sich ja selbst geirrt.
    »Was machst du?«, fragte sie.
    »Ich sehe mir die Gefangenen an.«
    Während er zu der Gruppe zurückkehrte, wand sich der gefesselte Mann unter dem Zugriff der Wache.
    »Sieh dir zum Beispiel diesen Kerl an. Ein Mörder, der im Vollrausch einen Mann bei einer Wirtshausprügelei getötet hat. Sieh ihn dir an.«
    Der bemitleidenswerte Gefangene wand sich, als sich ihm alle Blicke zuwandten.
    »Er hat seinen Freund erschlagen«, sagte Braston. »Sie kannten sich seit der Kindheit.«
    Tränen rannen dem Gefangenen über die Wangen.
    »Aber ich kann seine Fäden lesen«, sagte Braston. »Seine Sünde hat ihn viel gekostet, und er wird nie wieder ein solches Verbrechen begehen.« Er nickte dem Kerkermeister zu. »Mach ihn los.«
    Während der Wärter zu den Schlüsseln griff, zeigte sich Unglauben auf dem Gesicht des Gefangenen.
    »Aber, Herr«, flüsterte er, »ich habe die Freiheit nicht verdient.«
    »So spricht nur jemand, bei dem das Gegenteil der Fall ist«, sagte Braston, und die Adligen in der Gruppe nickten angesichts solcher Weisheit. »Wenn du deinen Freunden und deiner Familie nicht mehr in die Augen sehen kannst, darfst du gern mit

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