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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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den Körper eines Mädchens fließt aber Blut, mein Freund, richtiges, rotes, warmes Blut. Solltest du dir mal hinter die Ohren schreiben, fürs nächste Mal.«
    »Es wird kein nächstes Mal geben.«
    »Bist du dir sicher?«
    Nico antwortete nicht.
    »Was wirst du jetzt tun?«
    »Vor Gericht als Zeuge auftreten.«
    »Glaubst du allen Ernstes, dass es dazu kommt?«
    »Diesmal ja. Mussolinis Regime ist Vergangenheit. Die Faschisten werden überall aus den Ämtern gejagt. Manzini steht allein auf weiter Flur.«
    »Hängt davon ab, wer schneller ist, würde ich sagen.«
    Nico blinzelte verwirrt. »Wer soll schneller sein als wer?«
    »Die Amerikaner als die Deutschen.« Bruno stutzte. »Hat es dir etwa noch niemand gesagt?«
    Erst jetzt fielen Nico die düsteren Mienen an den Nac h bartischen auf. »Ich bin heute noch vor dem Aufstehen von Rom hier herübergefahren. Möglicherweise ist mir da i r gendetwas entgangen.«
    »Kann man wohl sagen. Das Radio meldet, dass der K ö nig nach Brindisi ausgebüchst ist, und unser Regierung s chef hat sich ihm gleich angeschlossen.«
    »Marschall Badoglio? Aber vor wem?«
    »Na, vor der Wehrmacht. Die Deutschen sind heute in T i rol einmarschiert und dringen schnell nach Süden vor. Wenn sie in dem Tempo weitermachen, heißt es übermo r gen in Rom: ›Hitler ante portas.‹ «
     
    Nicht Adolf Hitler persönlich gab sich am 10. September 1943 »vor den Toren« Roms die Ehre, er ließ sich von se i nem Heer vertreten. Nico weilte an diesem vielleicht du n kelsten Tag in der Geschichte Italiens ebenfalls in der Ew i gen Stadt. So schnell hatte er eigentlich nicht dorthin z u rückkehren wollen, weil bis zu Manzinis Überstellung in die Hauptstadt noch einige Tage vergehen sollten. Der Mörder saß in einer Zelle der Questura, eben jenes Polize i präsidiums, in dem sein Wort bis vor kurzem noch Gesetz gewesen war. Üblicherweise logierten darin nur Gäste, die zu viel Trebbiano di Nettuno getrunken oder sich gegen Anstand und Sitte versündigt hatten. Richtige Ganoven nächtigten dagegen in dem staatlich geführten Etabliss e ment so selten wie ein Staatsoberhaupt in einer Jugendhe r berge.
    Um sein Versprechen zu halten, hatte Nico dem Beamten, der das Magazin beschlagnahmter Gegenstände verwaltete, einen Einführungskurs in Lebensuhrpflege gegeben. Der Beamte, eine blonde Bohnenstange mit Glasauge, musste unablässig grinsen.
    »Sie tun ja so, als sei das keine Uhr, sondern ein Gol d hamster, Signor Mi… Verzeihung, ich wollte sagen, Signor dei Rossi.«
    »Don Massimiliano ist ein zutiefst abergläubischer Mann. Wenn Sie vermeiden wollen, dass er einen Tobsuchtsanfall bekommt und dabei sich oder andere ernstlich verletzt, dann ziehen Sie seine Taschenuhr regelmäßig auf. Es kostet Sie wenig Mühe, bringt Ihnen aber eine Menge Frieden.«
    »Einige hier hätten gegen einen kleinen Ausraster ihres alten Podestà wohl nichts einzuwenden. Wäre eine schöne Gelegenheit, ihn endlich mal so richtig durchzuwalken.«
    »Das verstehe ich, aber er hat mehrere Menschenleben auf dem Gewissen. Ich selbst musste einen Mord mit ans e hen. Geben Sie dem Schurken die Gelegenheit, sich dem Henker vorzustellen.«
    Der Beamte hatte gegrinst und den Zeugen gehen lassen. Etwa zwei Stunden später war Nico in Rom eingetroffen und sofort in die Via San Franceso a Ripa gefahren, um Johan und Lea zu warnen.
    »Wir haben es schon aus dem Radio gehört«, sagte der Uhrmachermeister, nachdem sein Geselle in die Wohnung geplatzt war.
    »Ihr müsst sofort untertauchen.«
    »Die Ältesten sagen, wenn die Deutschen hier einfallen und sehen, dass wir uns alle versteckt haben, dann werden wir sie erst recht reizen«, gab Lea zu bedenken. »Sie me i nen, die Nationalsozialisten seien zwar eine Plage, aber die jüdische Gemeinde von Rom hat in den zweitausend Jahren ihres Bestehens schon ganz andere Gefahren gemeistert.«
    Nico sah sie voller Schmerz an. »Hast du etwa schon ve r gessen, wie sie in Österreich gewütet haben? Ihr wisst doch, dass dieser Herbert Kappler bereits seit Jahren hier von der deutschen Botschaft aus zur Treibjagd auf die ausländ i schen Juden bläst. Wenn Italien erst unter Hitlers Kontrolle steht, dann spielt der Pass sowieso keine Rolle mehr.«
    »Er hat Recht. Das sagt übrigens auch Rabbi Zolli«, brummte Johan. Israel Zolli war der Oberrabbiner der jüd i schen Gemeinde in Rom. Mit Bezug auf die Andersgläub i gen fügte der Uhrmachermeister hinzu: »Die Gojim werden nicht ruhen, bis

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