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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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veränderte sich. Auf seiner Nase und den Wangen trat ein blutrotes Netz von Äderchen he r vor. Wut und Entsetzen waren der Zündstoff, der seine Worte hinausschleuderte. »Was? Wollen Sie, dass meine Uhr in einem Karton zum Stillstand kommt? Das lasse ich nicht zu!«
    »Sie werden wohl nichts dagegen tun können«, erwiderte der Kommandant gleichmütig. Nico hatte ihn vorgewarnt, dass es möglicherweise zu einer solchen Reaktion kommen würde.
    Manzini stemmte sich gegen die Hände an, die sich um seine Oberarme gelegt hatten. Er besaß die Kraft eines Sti e res und die Körpermasse eines Bullen. Einer der Carabinieri konnte ihn nicht länger halten. Manzini riss sich los. Mit einem Mal blickte er in den Lauf einer Pistole.
    »Noch einen Schritt, und ich schieße«, sagte der Ko m mandant.
    Tief in Nicos Bewusstsein schrie eine Stimme: Drück doch ab! Seine alte Rachsucht flackerte auf. Doch er rang sie nieder und legte rasch seine Hand auf den Waffenarm des Kommandanten. Er wollte lieber für Gerechtigkeit ei n stehen, anstatt mit seinem Zögern dem Standrecht Vo r schub zu leisten – allzu frisch waren noch die Erinnerungen an die Toten beim österreichischen Volksaufstand im Fe b ruar 1934. Davon abgesehen wollte er Don Massimiliano in den Augen seiner Tochter nicht zu einem Märtyrer machen. Durch ein ordentliches Gerichtsverfahren konnte er Laura vielleicht die Augen öffnen.
    Die Bedrohung mit der Waffe hatte Manzinis Widerstand vorerst erlahmen lassen. Aber sein hochrotes Gesicht mah n te weiterhin zur Vorsicht. Der Kommandant musste sich durch die Berührung am Arm glücklicherweise des Hilf s angebotes entsonnen haben, das ihm Nico im Voraus geg e ben hatte. Denn nun sagte er: »Wenn Sie ohne Widerstand mit uns kommen, Signor Manzini, dann gebe ich Ihnen mein Ehrenwort, dass Ihre Uhr täglich aufgezogen und b e wegt wird.«
    Es sah so aus, als hätte jemand aus dem schweren Körper des ehemaligen Stadtvorstehers Luft abgelassen. Auch das Rot im Gesicht hellte sich merklich auf. Er nickte und ließ sich ohne weitere Gegenwehr abführen.
    Nachdem er aus dem Raum war, trat Nico zu der Säule mit der Glasvitrine. In ihm tobte immer noch der Sturm, den das Wiedersehen mit Laura ausgelöst und den der ger a de überstandene Zusammenprall mit dem Mörder seines Vaters weiter angefacht hatte. Beim Anblick der Lebensuhr wurde daraus ein Tornado, der ihn fast von den Füßen fe g te. Mit beiden Händen musste er sich an der Säule abstü t zen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
    »Ist Ihnen nicht gut?«, fragte der Kommandant plötzlich hinter ihm.
    Nico erschrak und schüttelte den Kopf.
    Der Carabiniere deutete auf die Lebensuhr in der Vitrine?
    »Ist sie das?«
    Die Antwort war ein Nicken.
    Der Polizist prüfte die Tür. »Abgeschlossen«, sagte er und nahm seine Pistole am Lauf. Offensichtlich wollte er das Glas mit dem Griff einschlagen. Nico hielt ihn mit einer beschwichtigenden Geste zurück und schüttelte den Kopf.
    »Haben Sie denn einen Schlüssel, Signor dei Rossi? Sie wissen ja, wir müssen die Uhr sicherstellen.«
    Wieder nickte Nico und legte erneut beide Hände auf die Säule. Seine Rechte berührte das Loch, das sonst nur den zweibärtigen Schlüssel an sich heranließ. Sie zitterte. Plöt z lich war ein metallisches Klicken zu hören. Der Hüter der Lebensuhr deutete einladend auf die Vitrine.
    Der Kommandant staunte nicht schlecht, als sich der rechtwinklig geknickte Türflügel öffnen ließ. »Wie haben Sie das gemacht?«
    Nico zuckte die Schultern und wandte sich zum Gehen.
    Als er den breiten Türsturz durchquerte, stand unvermi t telt Laura vor ihm.
    Einige Sekunden lang sahen sich beide wortlos an.
    Sein Herz verkrampfte sich zu einem knotigen Klumpen, als er abermals durch Lauras Augen in die Zisterne ihrer Kümmernis blickte. Nur ein bitterer Verlust konnte ein G e sicht so sehr zeichnen. Aber wen betrauerte sie da? Ihren verhafteten Vater oder die verlorene Liebe? Ehe er sich über diese Fragen schlüssig werden konnte, begann sie zu sprechen. Mit erschreckend ruhiger Stimme.
    »Ist dein Rachedurst nun gestillt? Du hast alles zerstört. Glaubst du, du wirst jetzt endlich Frieden finden?«
     
    Er hatte sich an ihr vorbeigedrückt und war aus dem Haus geflüchtet. Sein ganzer Körper tat ihm weh, weil er immer noch das heftige Zittern unterdrückte – die Leute würden ihn womöglich für einen Epileptiker halten. Ohne seine Umgebung wirklich wahrzunehmen, stolperte er durch die

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