Der Herr der Unruhe
wenigstens nicht enttäuscht, als man ihm mitteilte, die Anklageerhebung gegen Manzini sei auf höchste Anor d nung hin fallen gelassen worden. Signor Abbado, der vor wenigen Tagen noch so begeisterungsfähige junge Assiste n te del Procuratore, war das schlechte Gewissen in Person.
»Dann möchte ich das Auftragsbuch meines Vaters z u rückhaben«, verlangte Nico.
»Leider geht das im Moment nicht«, wand sich Abbado.
»Das müssen Sie mir bitte erklären.«
»Ich habe das Buch nicht mehr?«
»Wie bitte?« Nicos Stimme überschlug sich.
»Es wurde von einem deutschen SS-Offizier abgeholt.«
Nico schloss die Augen und holte tief Luft. Dann stützte er beide Hände auf den Schreibtisch und sah den Beamten scharf an. »Der Mann war nicht zufällig Sturmbannführer der SS und hieß Karl Hass?«
»Woher wissen Sie das?«
Nico ließ sich, ohne zu fragen, auf den Stuhl vor Signor Abbados Schreibtisch sinken. »Manzini kollaboriert schon lange mit den Deutschen.«
»Was soll das heißen?«
»Ich glaube, dass er ein Verräter ist.«
»Nicht so laut!«, zischte Abbado und spähte zu einer Tür, die in ein Nachbarbüro führte. Als von dort kein Stur m trupp auftauchte, um ihn festzunehmen, beugte er sich vor und flüsterte: »Der Staatsanwalt hat gerade Besuch. Die Deutschen übernehmen zurzeit die Kontrolle des gesamten öffentlichen Lebens. Wissen Sie, was gestern passiert ist?«
Nico zuckte die Achseln. Abbado wurde noch leiser.
»Ich habe vorhin auf der Toilette zufällig ein Gespräch zwischen dem italienischen Standartenführer, der gerade nebenan ist, und einem deutschen SS-Offizier belauscht. Sie beglückwünschten sich zu dem ›Husarenstückchen‹ eines gewissen SS-Sturmbannführers Otto Skorzeny. Sie sprachen zwar Italienisch, benutzten aber dieses Wort, mit dem ich nichts anfangen kann.«
»Ein Husarenstück ist ein tollkühner Handstreich.«
»Das würde passen. Mussolini war ja nach seiner Verha f tung in einem Grand Hotel auf dem Gran Sasso festgehalten worden. Jetzt sind deutsche Fallschirmjäger in den Abru z zen gelandet und haben ihn befreit. Man munkelt, sie hätten ihn zur ›Wolfsschanze‹ gebracht, Hitlers Hauptquartier. Ich will ja nicht den Teufel an die Wand malen, aber ich würde mich nicht wundern, wenn der neue Duce bald wieder der alte ist.«
»Sofern die Alliierten das zulassen«, entgegnete Nico o h ne rechte Überzeugung. Die Erfolgsmeldungen der BBC waren vielleicht auch nur Kriegspropaganda.
Abbado beugte sich noch weiter vor. »Hören Sie, Signor dei Rossi. Ich würde Ihnen ja gerne helfen, aber mir sind die Hände gebunden. Tauchen Sie unter, bis dieser Spuk vorüber ist. Sollte es mich danach in diesem Haus noch geben, dann steht meine Tür Ihnen jederzeit offen. Ko m men Sie wieder, und wir helfen Justitia auf die Sprünge.«
Nico war sichtlich geknickt. Mit finsterer Miene erhob er sich.
»Und noch etwas«, sagte Abbado.
»Ja?«
»Massimiliano Manzini.«
»Was ist mit ihm?«
»Er ist wieder auf freiem Fuß. Das Oberkommando der Wehrmacht hat ihn zum Statthalter in Nettunia eingesetzt.«
Es war nicht leicht gewesen, die schwarze Farbe aufzutre i ben, aber Nicos Bereitschaft, anderen Menschen in der Not beizustehen, begann sich nun zu verzinsen. Mit einem we i ßen Motorrad hätte er sich nirgendwo blicken lassen kö n nen, ohne sofort aufzufallen. Auch so würde er Acht geben müssen, damit die Deutschen ihm den treuen Albino nicht unterm Hintern wegrequirierten. Und woher er sich mit Treibstoff versorgen sollte, wusste er auch noch nicht.
Die schlechte Nachricht war, dass die Operation »Al a rich« mit alemannischer Gründlichkeit verlief. Die Weh r macht war bis zur Frontlinie Salerno-Benevento-Eboli vo r gestoßen; sie kontrollierte also fast den gesamten italien i schen »Stiefelschaft« bis südlich von Neapel. Auch in den Castelli Romani hatte sie sich mittlerweile häuslich eing e richtet. Aus den Albaner Bergen konnte sie mit ihrer weit reichenden Artillerie die ganze Gegend bis hinunter zum Meer kontrollieren. Als positiv erwies sich indes der U m stand, dass sie im küstennahen Bereich über keine größeren Truppenkontingente verfügte. In dem alten Garnisonsg e bäude an der Piazza Umberto I. gab es jetzt zwar einen B e fehlsstand der Deutschen, ansonsten ließen sich jedoch, abgesehen von einzelnen Patrouillen oder kleineren Auße n posten, nur wenige deutsche Stahlhelme in Nettunia und Umgebung blicken.
Vor ein paar Tagen war das noch
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