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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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anders gewesen. Am Morgen des 9. September hatten sich kurz nach sieben Uhr die Deutschen durch Kanonendonner in Nettuno angekü n digt. Mit einem panzerbrechenden Geschütz rückten sie vor besagtem Garnisonshaus an, um der darin untergebrachten italienischen Artillerieschule Anschauungsunterricht zu erteilen. Jeder, der sich in dem Haus befand, solle mit erh o benen Händen herauskommen, verlangte der deutsche Kommandant. Von drinnen bat Oberst Bruno Toscano um eine Galgenfrist, damit wenigstens die Frauen und Kinder abziehen könnten. Kurz darauf schlugen drei Granaten im ersten Stock des Militärgebäudes ein. Die Schüsse waren der Funke, der ein dreitägiges Aufbäumen gegen die Besa t zer auslöste.
    Von der Piazza Umberto I. ausgehend, getragen von ein paar Halbwüchsigen, die noch nie eine Waffe in der Hand gehabt hatten, breitet sich die Revolte zu den Kasernen des italienischen Militärs und dann über die ganze Stadt aus. Die Deutschen, zunächst nur mit einer kleinen Einheit a n gerückt, weil man ja Italien von Norden nach Süden in w e nigen Tagen aufrollen wollte, zogen sich eingeschüchtert zurück. Aber bald schon kehrten sie wieder, stärker als z u vor. Stukas bombardierten aus der Luft die Viale Mencacci. Am 12. September versprachen die Deutschen den Wide r ständlern, sich im Falle ihrer kampflosen Aufgabe sanft wie Schafe zu benehmen, doch nach deren Kapitulation erwi e sen sie sich wie reißende Wölfe. Es begannen die Tage der Menschenjagden, der Deportationen und Genickschüsse.
    Nico fühlte sich wie ein Phantom, wenn er durch die Straßen Nettunias schlich. Für ihn gab es ein halbes Du t zend Gründe, sich unsichtbar zu machen. Erst kürzlich war ein Junge aus Armellino in der Stadt von den Deutschen aufgegriffen worden, weil er zwei Kneifzangen bei sich trug, mit denen er sein Viehgehege reparieren wollte. Die Soldaten hielten ihn für einen Saboteur, da kurz zuvor j e mand das Telefonkabel ihres Postens gekappt hatte. Ein Feldwebel stellte den Jungen an eine Wand und exekutierte ihn mit drei Schüssen. Nico erfuhr von dem Vorfall, als er sich in der Via Cavour ein Brot aus Alfonso Bernardinis Bäckerei holte. Dante Castaldi, der Bäcker, war zornrot, weil nur wenige Minuten zuvor – wie jeden Tag – der Feldwebel seine Brötchen abgeholt und erklärt hatte: »W a rum sollte ich Gewissensbisse haben? Ich hab’s auf eine Weise gemacht, dass er nicht leiden musste.«
    Obwohl ihm klar war, dass die meisten seiner Freunde ihn für unpatriotisch halten mussten, wollte sich Nico nicht in den Konflikt hineinziehen lassen. Dies war nicht sein Krieg. Er hasste die Deutschen nicht. Lange genug hatte er in Wien gelebt, um das teutonische Kind nicht mit dem nationalsozialistischen Bade auszuschütten. Sein Gegner hieß Massimiliano Manzini.
    Indes hatte er bereits am Tag seiner Ankunft in Nettunia bemerkt, dass ihm noch von einer dritten Seite Gefahr dro h te.
    Nico und sein eingeschwärzter Albino waren in der Scheune eines alten Bauern außerhalb der Stadt unterg e kommen. Er hatte Domenico Amicis Traktor einmal von einem »Husten« geheilt, der sich in häufigen Fehlzündu n gen äußerte. Jetzt endlich konnte der Landwirt seine Schuld abtragen; gerne bot er Nico ein Quartier für die Nacht an. Noch auf dem Hof erzählte Domenico seinem Gast von Manzinis neuer Leibwache.
    »Er hat jetzt immer so einen Kerl dabei: Mitte zwanzig, verschlagenes Gesicht, unheimlich drahtig. Manchmal b e gleiten ihn auch mehrere dieser Gestalten von der Banda Koch .«
    »Der Name sagt mir nichts«, erwiderte Nico.
    »Das sind finstere Gesellen. Wie der Name schon sagt, eine ›Bande‹ aus ehemaligen Polizisten und Geheimdiens t leuten. Sie stehen auf der Seite von Mussolini und seinen deutschen Freunden. Nimm dich vor ihnen in Acht, Ni k las!« Für Domenico war Nico immer noch II Tedesco, der deutsche Walzenbändiger.
    »Ich werd’s mir merken. Danke.«
    »Ach was! Mein Weib und ich haben dir zu danken. Ju n ge. Seit unser Sohn in Abessinien gefallen ist, sind Gisella und ich ganz allein auf dem Hol. Du hast uns beiden in e i ner schwierigen Lage geholfen, jetzt können wir unsere Schulden bei dir begleichen.« Er stieß Nico mit dem Ellb o gen an. »Und übrigens: In Nettunia gibt es noch viele, die genauso denken. Ich hab’s oft gehört. Du bist beliebt. Sollte dir unser Gouverneur oder Statthalter oder Podestà oder wie immer Don Massimiliano sich jetzt nennt – also wenn der dir Schwierigkeiten macht,

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