Der Herr der Unruhe
dich ein paar Tage aus. Bis dahin habe ich einen neuen Plan. Deine Gaben sind zu kostbar, Nico, um sie im Kampf gegen einen einzelnen Mann zu verge u den. Wir könnten sämtliche Kanonen der Deutschen in den Castelli lahm legen, ihren Funkverkehr stören, ihre Panze r geschütze nach hinten losgehen lassen …«
»Lass es«, unterbrach Nico müde den Freund. »Wir sind jetzt quitt. Ich hatte gehofft, dass wir Manzini kriegen, d a mit er für seine Untaten büßt, aber es hat nicht sollen sein. Vielleicht ist er ein zu starker Gegner für mich. Oder ich muss ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen.«
»Etwa mit einem Stilett?«
»Nein, mit List.«
Bruno breitete die Arme aus. »Also gut. Dann machen wir ‘s eben mit Tücke. Ist mir auch recht. Ich bin für jeden de i ner Vorschläge dankbar. Wir …«
»Nicht wir «, fiel Nico ihm abermals ins Wort. »Ich werde die Sache allein zu Ende bringen.«
Der Partisan schüttelte langsam den Kopf. »Tu mir das nicht an, amico mio .«
Nico hielt dem waidwunden Blick seines Gegenübers mit versteinerter Miene stand. »Nicht ich habe dir und deinen Kameraden heute Schmerzen zugefügt, mein Freund. Es waren die Scharfschützen der SS. Euer fanatischer Ideali s mus. Deine Selbstüberschätzung. Unerfahrenheit. Aber gib bitte nicht mir die Schuld, wenn du deine Freunde opferst und morgen ganz alleine vor einem Erschießungskomma n do stehst.«
Erneut fuchtelte Bruno mit den Armen in der Luft herum und brüllte: »Ja, sollen wir uns alle zu Hitlers Sklaven m a chen lassen? Wir müssen gegen die Eindringlinge kämpfen. Wenn wir ‘s nicht machen, dann tut’s keiner. Willst du wirklich unseren Untergang? Wirst du noch in den Spiegel sehen können, wenn …«
»Versuche nicht, mir ein schlechtes Gewissen einzureden, Bruno.« Nico erhob sich ächzend von dem Stein. »Hitler ist für mich eine Verkörperung des Bösen. Wirf einen Blick zurück in die Geschichte. Solche Menschen sind zum Scheitern verurteilt. Wie lange hat Kaiser Nero, der ›große‹ Bürger unserer Stadt, regiert? Du bist der Fremdenführer.«
»Immerhin vierzehn Jahre!«
»Sollte dem deutschen Führer das gleiche Kunststück g e lingen – was ich angesichts der Meldungen aus London bezweifle –, dann ist er in drei Jahren Geschichte.«
»Aber nur, wenn jemand gegen ihn aufsteht und ihn zum Teufel jagt.«
»Der Ewige hat uns mit Willensfreiheit ausgestattet, Br u no. Wenn du den Krieg als Lösung der Probleme wählst, dann kann ich dich nicht davon abhalten. Aber hindere bitte nicht mich, meinen eigenen Weg zu gehen. Oder gelten eure Ziele – Gerechtigkeit und Freiheit für alle – in Wah r heit nur, solange jemand euch zu Munde redet? Der wahre Prüfstein edler Ideale ist der Querkopf, der Andersgläubige, der Freigeist. Wenn ihr den Verfechter einer anderen, mö g licherweise unbequemen oder euch sogar unverständlichen Meinung verfolgt, dann seid ihr im Grunde selbst Diktat o ren. Ich wünsche dir einen klaren Kopf, mein Freund.« N i co wandte sich zum Gehen.
»Soll das etwa dein letztes Wort sein?«, stieß Bruno he r vor. Speichel spritzte ihm aus dem Mund.
Nico strebte unbeirrt dem Ausgang der Höhle entgegen. »In dieser Angelegenheit ja. Falls du zu einer Partie Schach bei mir vorbeischauen willst – jederzeit gerne.«
»Das kannst du vergessen!«, blaffte Bruno.
»Mir auch recht. Ich bin sowieso kein guter Spieler«, en t gegnete Nico, ohne sich noch einmal umzudrehen. Die w ü tende Stimme seines Gefährten hallte zunehmend leiser hinter ihm her.
»Das stimmt, du verdammter Sturkopf. Ohne mich bist du aufgeschmissen. Warts nur ab! Bald bist du schachmatt.«
19. KAPITEL
Der Delinquent
Nettunia, 1944
Die Piazza Umberto I. war ein finsteres Loch zwischen den Dächern der Stadt. Der heimliche Beobachter glaubte im alten Garnisonsbau, gegenüber dem kleinen »Palazzo« Po r firi, wo man früher zum Markt abgebogen war, einen schwachen Lichtschimmer auszumachen. Typisch! Die Kommandostelle der Wehrmacht ging mit der Verdunk e lungsvorschrift am nachlässigsten um. Nico wandte sich wieder dem Palazzo Manzini zu, der wie ein schwarzer Klotz unter dem mondlosen Himmel lag.
Der schattenhafte Späher befand sich in einem verlass e nen Haus auf der Südseite des Platzes. Die Fensterscheiben waren beim letzten Angriff der deutschen Sturzkampfbo m ber zu Bruch gegangen. Wie die Augenhöhlen eines Tote n kopfes blickten ihre glaslosen Lichtöffnungen auf die u m liegenden Gebäude.
Nicos
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