Der Herr der Unruhe
Änd e rungen des Dienstplanes, Krankmeldungen und vielem mehr.
Einige der schmerzhaftesten »Nadelstiche«, die Nico se i nem Gegenspieler in den vergangenen sechs Tagen verpasst hatte, verdankte er der »Plaudertasche«, wie Signora Tort o ra den Empfänger des Gemeindearztes nannte. Mit der A k tion an diesem Abend wollte er ein wichtiges Etappenziel erreichen: Der Dynast von Nettunia sollte in den Augen seiner deutschen Bundesgenossen zu einem Sicherheitsris i ko werden. Wenn es gelang, die Demontage ihres »Go u verneurs« bis zu diesem Punkt zu treiben, dann war er so gut wie schutzlos. Die Deutschen hatten Benito Mussolini noch mit einem Fallschirmjägerkommando befreit, aber Massimiliano Manzini würden sie den Amerikanern mit Kusshand überlassen.
Dann, da war sich Nico sicher, würde Justitia ihre Waage auspacken. In die eine Schale käme der nur noch äußerlich schwergewichtige »Stadtfürst«, und in die andere würde sie die drückende Beweislast häufen, das verräterische Dante-Zitat aus der Lebensuhr und den Kronzeugen. Letzterer war Nicos Ass im Ärmel, das er Vittorio Abbado verdankte. Die Nachforschungen des zum Archivar degradierten Assistente del Procuratore hatten seine kühnsten Vermutungen best ä tigt. Vorläufig sollte Don Massimiliano ruhig in dem Gla u ben bleiben, niemand kenne die Identität jenes großen U n bekannten, der ihm den Strick um den Hals legen konnte, aber zur gegebenen Zeit würde er eine böse Überraschung erleben.
Mit diesen Gedanken im Kopf hatte Nico dem Palazzo Manzini vor wenigen Minuten einen weiteren Besuch a b gestattet; eigentlich war es nur eine Stippvisite. Diesmal ließ er mehr Vorsicht walten als bei seinem letzten Gas t spiel.
Der unterirdische Zugang befand sich noch im selben Z u stand, wie Nico ihn vor zehn Tagen verlassen hatte – das Schloss hätte sich erinnert, wenn es anders wäre. Offenbar wusste niemand, wie er zuletzt in den Palast eingedrungen war. Oder lauerte hinter der Tür ein Dutzend Bewaffneter? In Ruhe befragte Nico mehrmals das Schloss. Nein. In dem Raum nebenan war niemand. Erneut schob er die Truhe mit der Tür zur Seite. Er hatte beide beim letzten Mal mit e i nem kurzen Tau verbunden, wodurch die Kiste beim Schließen der Tür fast wieder in ihre alte Position gerückt worden war.
Das phosphoreszierende Zifferblatt seines Taschenchr o nometers gab ihm Auskunft über die Zeit. Es war sieben Minuten nach acht. Das im Palazzo Manzini anberaumte Versöhnungsgespräch zwischen Don Massimiliano und einem ranghohen Vertreter des örtlichen Oberkommandos der Wehrmacht hatte also bereits begonnen. Nico wollte das gesellige Zusammensein der beiden mit einem Feuerwerk krönen. Als passenden Ort dafür hatte er den Keller des Hauses auserkoren.
Leise durchsuchte er die verschiedenen Gewölberäume nach den bewussten Kisten. Der von Doktor Montis Radio ausgeplauderte Hinweis stammte von keinem anderen als von Guido Valletta. Manzini hatte den Korporal austa u schen lassen, ihn gedemütigt und für seine Degradierung gesorgt, aber die Macht des »Gouverneurs« reichte offenbar schon nicht mehr aus, um Valletta vor ein Exekutionsko m mando zu bringen. Die Führung der paramilitärischen Ba n da Koch setzte den binnen Stunden von dem Verdacht der Tuberkulose Befreiten jetzt in der lokalen Partisanenjagd ein. In dieser Eigenschaft besuchte er auch den deutschen Funker und klagte ihm sein Leid über die Undankbarkeit des »Gouverneurs« sowie die Inkompetenz des deutschen Stabsarztes – Doktor Sägemüller habe seine Fehldiagnose mit der Röntgenaufnahme gerechtfertigt und sich danach an die Südfront abgesetzt. Valletta ahnte nicht, dass ein sich unverstanden fühlendes Mikrofon jedes Wort an einen g e duldig zuhörenden Freund in unmittelbarer Nachbarschaft verschickte.
Irgendwann war das Gespräch der Militärs auf die im P a lazzo Manzini herumliegenden Raketen, Knallkörper und das bengalische Feuer gekommen. Die pyrotechnischen Leckerbissen waren eigentlich als Geschenk des Podestà zu Ehren der Festa della Nostra Signora delle Grazie ang e schafft worden. Die jährlich am ersten Samstag im Mai stattfindende Prozession gehörte zu den absoluten Höh e punkten im Stadtkalender. Mit dem Lichtspektakel hätte Manzini bei der Bevölkerung von Nettunia etliche Plu s punkte eingeheimst. Aber dann kam der Krieg und kurz darauf die behördlich angeordnete Verdunkelung. Der U m zug wurde auf die Tagesstunden vorgezogen. Schon der Gedanke an eine
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