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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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mit Ruß geschwärztes Gesicht im zweiten Stock war so gut wie unsichtbar. Sein Puls galoppierte vor g e spannter Erwartung. Er fühlte sich so energiegeladen wie lange nicht mehr. Inzwischen ging das Wechselfieber gn ä diger mit ihm um. Der letzte Anfall lag sechs Tage zurück.
    Nach der gescheiterten Gefangennahme Manzinis und dem anschließenden Streit mit Bruno war er unverrichteter Dinge nach Nettunia zurückgekehrt, genauer gesagt zum Torre Astura. Das alte Türschloss der Festung hatte ihm nur widerwillig Einlass gewährt. Vielleicht spürte es seine jüd i sche Herkunft – es war ja immerhin römisch-katholisch. In der darauf folgenden Nacht hatte ihm das »Echo« der Mal a ria übel mitgespielt. Es war ein qualvolles Pendeln zw i schen Schüttelfrost und Fieber. Am nächsten Morgen hatte sich sein Zustand gebessert, aber er gönnte sich noch einen Tag Ruhe. Danach machte er sich wieder an die Arbeit.
    Seitdem hatte er Manzini einige schmerzhafte Nadelstiche beigebracht – hier ein paar kollabierte Lieferwagen, dort ein taubstummes Telefon –, aber so klein und, für sich allein betrachtet, unbedeutend diese Störungen erscheinen moc h ten, setzten sie dem Ruf des »Gouverneurs« in der Summe gesehen gehörig zu.
    Die Tötung von neunundzwanzig Partisanen in den Pont i nischen Sümpfen bei »nur einer Hand voll eigener Verlu s te« war den Vorgesetzten von Generalmajor Hansen zwar offiziell als Erfolg verkauft worden, aber hinter vorgehalt e ner Hand schmiedete man bereits Pläne, um Manzini ohne allzu großes Aufsehen aus dem Weg zu räumen. Er sei nicht allein schuld am Tod von fünf italienischen SS-Kameraden, sondern habe das lokale Kommando mit seinen Kungeleien wie einen Haufen pickeliger Pennäler aussehen lassen. Als ob die Wehrmacht unfähig sei, ihren eigenen Dreck wegzukehren!
    Ungefähr diesen Wortlaut entnahm Nico der Unterhaltung zweier deutscher Offiziere, die er vor zwei Tagen in Nett u no während eines Experiments belauscht hatte. Die Idee zu dem Versuch war ihm nach der Lahmlegung des deutschen Konvois in den Sümpfen gekommen. Wenn er sich mental nur genügend vorbereitete und seine Kräfte sammelte, dann konnte er sogar auf mittlere Entfernung mit Maschinen in Kontakt treten. Er musste sie nicht einmal berühren oder ihnen etwas vorsummen. Das waren nur Angewohnheiten, allenfalls Krücken, von denen er sich jetzt befreit hatte. Um seine Gabe auszuloten, lieh er sich Doktor Montis Radi o empfänger aus.
    Der Gemeindearzt hatte sich kurz und heftig gesträubt. Immerhin war das Gerät sein »Draht nach London«. Nico weihte ihn in seine Pläne ein. Wenn es gegen Don Massim i liano gehe, dann sei ihm kein Opfer zu groß, verkündete der Mediziner, der wie auch die Bäcker und der Barbier eine Sonderaufenthaltsgenehmigung für Nettunia besaß. Auße r dem, so gab er zu, interessiere ihn der wissenschaftliche Aspekt des »Fernwirkungsexperiments«.
    Der Fokus von Nicos außergewöhnlichem Sinn war auf die Funkstation des deutschen Hauptquartiers in Nettunia gerichtet. Die Anlage befand sich im alten Garnisonsg e bäude an der Piazza Umberto I. Der Lauscher bezog seinen Posten unweit davon in einem leer stehenden Haus, das über einen Zugang zu den unterirdischen Tunneln verfügte. Der Tipp stammte von Signora Tortora, die sich spontan bereit erklärt hatte, ihn beim Abhören des »Rundfunks« zu unterstützen. Wie sich bald herausstellte, funktionierte das aber nur für begrenzte Zeit, weil sich der Mitteilungsdrang der Geräte in Nicos Abwesenheit wie eine Sanduhr schnell erschöpfte.
    Der erste Versuch war sehr spannend verlaufen. Nico nahm das Radio ins Gebet, streichelte es, eröffnete ihm neue Horizonte und brachte es schließlich tatsächlich so weit, über eine Distanz von ungefähr fünfhundert Metern mit dem Funkgerät der Deutschen in Dialog zu treten. Sei t dem konnte er hören, was das Mikrofon der militärischen Kommunikationsstelle auffing, unabhängig davon, ob die Gespräche der Deutschen durch den Äther gingen oder nicht.
    Gerade im letzten Fall war Doktor Montis Radio, wie die Unterhaltung über Manzinis Niedergang eindrucksvoll b e wies, ein lebhaft sprudelnder Quell aufschlussreicher Nac h richten. Die offiziellen Mitteilungen wurden verschlüsselt, waren für Nico also unverständlich, aber gerade das G e plauder nebenbei oder die von Offizieren dem Funker im Klartext diktierten Meldungen hatten es in sich. Der La u scher erfuhr von Truppen- und Materialtransporten,

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